Resistenzentwicklung nach präventiver Intervention – Jede Medaille hat ihre Kehrseite…
Selektive Darmdekontamination wird sehr kontrovers diskutiert. Insofern muss bei einer solchen Intervention das Nutzen-Risiko-Verhältnis sorgfältig abgewogen werden.
Einführung
Selektive Darmdekontamination (=SDD) mit oralen, nicht absorbierbaren antimikrobiellen Substanzen (Colistin, Tobramycin und Amphotericin B), werden bei Patienten mit voraussichtlich längerer Beatmungsdauer (> 48h) auf Intensivstationen eingesetzt, um aerobe, gramnegative Bakterien aus dem Darm zu eradizieren und damit wiederum nosokomiale Infektionen (speziellen Ventilator-assoziierte Pneumonie = VAP) zu verringern/verhindern. Einige Studien zeigen eine Reduktion der Inzidenz für VAP. Nur wenige Studien konnten eine Beeinflussung der Mortalität oder der Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation zeigen.
In dieser retrospektiven Studie (Zeitraum: 5 Jahre) wurde der Impact der selektiven Darmdekontamination (=SDD) während eines Ausbruches mit ESBL (=extended spectrum Betalactamase) Klebsiella pneumoniae in einer Niederländischen Intensivstationen untersucht.
Hintergrund
Ein Wort zu Colistin: es gehört zu der Polymyxin-Gruppe (ein Polypeptid Antibiotikum). Früher wurde es zur Behandlung verschiedener Infektionen eingesetzt, die durch gramnegative Erreger verursacht wurden. Wegen Nebenwirkungen bei systemischer Gabe (z.B. Niereninsuffizienz) wurde es nach Einführung anderer, nebenwirkungsärmerer Antibiotika (ca. um 1980) in der Indikation zur systemischen Anwendung nicht mehr eingesetzt. Die Indikationen zur topischen Applikation wurden beibehalten. Zu erwähnen sind hier die Inhalation bei Patienten mit zystischer Fibrose (besiedelt mit Pseudomonas aeruginosa), zur topischen Behandlung bei Otitis media, bei Konjunktivitis etc.. Colistin wird ebenso eingesetzt (zusammen mit Tobramycin) als Bestandteil der SDD, als nicht absorbierbare, orale Substanz, um im Lumen des Gastrointestinaltrakt die volle Wirkung entfalten zu können.
Die zunehmende Prävalenz von Infektionen mit multiresistenten, gramnegativen Erregern ist eine äusserst Besorgnis erregende Wirklichkeit (ECCMID, Berlin 2013). Colistin, als "altes" wirksames Antibiotikum erlebt in diesem Zusammenhang als systemisches Antibiotikum einen "neuen Frühling". Was nun aber bereits weitere Sorgen macht ist, dass Keime, die auch auf Colistin resistent sind (z.B. Acinetobacter baumanni, Pseudomonas aeruginosa) zunehmend isoliert werden.
Resultate der Studie
Alle Isolate von ESBL Klebsiella pneumoniae waren vor Einführung der selektiven Darmdekontamination Colistin-sensibel. Die Minimal Inhibitory Concentration (MIC) auf Colistin war vor SDD < 1.5mg/l und stieg nach Einführung auf Werte bis 24mg/l. Mit anderen Worten: unter SDD werden Colistin-resistente ESBL Klebsiella pneumoniae nachgewiesen. Die Zunahme der Prävalenz und die Zunahme des Anteils von Resistenz auf Tobramycin bei Keimen, die eine intermediäre Resistenz auf Colistin zeigen. Die Erklärung hierfür ist wahrscheinlich der Selektionsdruck in der Bakterienpopulation unter Colistin/Tobramycin ("survival of the fittest ESBL Klebsiella pneumoniae")
Konklusion der Autoren
In Settings mit wenig zirkulierenden, multiresistenten Keimen ist der Einsatz von SDD auf der Intensivstation nicht mit erhöhter Selektion multiresistenter Keime oder erhöhter Induktion von Antibiotikaresistenz assoziiert. ABER bei zirkulierenden, multiresistenten Keimen ist die Selektion weiterer Keime, mit zusätzlichen Resistenzen erhöht. Ausserdem spielt eine Rolle, dass die in dieser Studie isolierten Keime (ESBL Klebsiella pneumoniae) zusätzlich Tobramycin resistent waren, so dass vermutet werden darf, dass eine Colistin-Monotherapie ein zusätzlicher Risikofaktor zur Resistenzentwicklung ist.
Mein Fazit: Es gibt immer eine Kehrseite der Medaille und deshalb soll der Einsatz von Antibiotika immer kritisch hinterfragt werden