Darf’s ein bisschen weniger sein? – Antibiotikatherapie bei Männern mit Harnwegsinfekt
Können Harnwegsinfekte bei Männern kürzer als 7-14 Tage behandelt werden? Dieser Frage geht eine retrospektive Analyse der Datenbank der Veterans Affairs nach.
Worum geht es?
Während unkomplizierte Harnwegsinfekte bei Frauen sehr kurz behandelt werden können, ist die optimale Therapiedauer von Harnwegsinfekten bei Männern nicht gut untersucht. Die Expertenmeinung empfiehlt bislang, jeden Harnwegsinfekt bei einem Mann als kompliziert zu betrachten und daher für mindestens 7 bis 14 Tage mit Antibiotika zu behandeln, um Rezidive zu verhindern. Andererseits ist die Antibiotikagabe mit der Entwicklung und Selektion von Antibiotikaresistenzen, mit dem Auftreten von Clostridien-Colitis und mit erhöhten Kosten assoziiert. Die typischen Erreger von Harnwegsinfekten sind Gram-negative Bakterien, die weltweit eine zunehmende Antibiotikaresistenz mit schwindenden Therapieoptionen zeigen. Deshalb ist eine kurze Antibiotikatherapie wünschenswert. Bei diversen Infektionen wurde in letzter Zeit gezeigt, dass üblicherweise zu lange behandelt wird und Antibiotika „gespart“ werden können.
Studiendesign
Retrospektive Kohortenstudie der US-amerikanischen Veterans Affairs (VA)-Datenbank von ambulanten männlichen Patienten, die im Jahr 2009 die ICD-9 Diagnose eines Harnwegsinfektes erhielten und für die ein Rezept für ein Antibiotikum dokumentiert war, das für einen Harnwegsinfekt geeignet ist. Die Therapiedauer gemäss verordnetem Rezept wurde in kurz (</=7 Tagen) und lang (> 7 Tage) unterteilt und das Auftreten von Früh- (</= 30 Tagen) und Spätrezidiven (> 30 Tagen bis 1 Jahr) verglichen. Das VA System bietet sich an, da in den VAs vorwiegend Männer behandelt werden und die Datenbank landesweit alle Patientendaten enthält.
Ergebnisse
Von 4’854’765 männlichen Veteranen (durchschnittliches Alter 68 Jahre mit zahlreichen Komorbiditäten, z.B. Diabetes mellitus in 35%) hatten 33’336 (0.7%) innerhalb eines Jahres 2009 mindestens einen ambulanten Harnwegsinfekt. Die beobachtete Therapiedauer betrug in 84% gemäss den Empfehlungen zwischen 7 und 14 Tagen, im Durchschnitt 10 Tage. Eine kurze Antibiotikatherapie wurde bei immerhin 35% durchgeführt, davon meist 7 Tage (77%), 5 Tage (14%) oder 3 Tage (7%). Die am häufigsten verschriebenen Antibiotika waren Ciprofloxacin (63%) und Trimethoprim-Sulfamethoxazol (27%). Ein Frührezidiv trat bei 4.1% und ein Spätrezidiv bei 9.9% auf. Interessanterweise bestand zwischen der langen und kurzen Therapie kein Unterschied für das Auftreten eines Frührezidivs. Dagegen war eine lange Antibiotikagabe in einer multivariablen Analyse mit 20% mehr Spätrezidiven (8.4% vs. 10.8%, p<0.001) assoziiert. Ebenfalls traten Infektionen mit Clostridium difficile innerhalb von 3 Monaten häufiger bei langer als bei kurzer Antibiotikagabe auf (0.5% vs. 0.3%; Risiko 42% erhöht). Β-Lactam-Antibiotika im Vergleich zu Ciprofloxacin und Trimethoprim-Sulfamethoxazol waren ein unabhängiger Risikofaktor für Frührezidive, jedoch nicht für Spätrezidive.
Limitationen
Die Studie war retrospektiv, nicht randomisiert, sodass verschiedene Faktoren für die Verschreibungsdauer verantwortlich gewesen sein können, für die die Analyse nicht kontrolliert war. Die Studie war auf ambulante Patienten mit daher vermutlich weniger schweren Harnwegsinfekten beschränkt. Leider wird jedoch nicht auf die Differenzierung zwischen oberen und unteren Harnwegsinfekten eingegangen. Wir erfahren nichts über das Vorhandensein von Blasenkathetern, da diese Information nicht verlässlich dokumentiert war. Weiterhin kann nicht bewiesen werden, dass das Antibiotikum jeweils für den Harnwegsinfekt verschrieben wurde und es war nicht dokumentiert, dass die Patienten auch das Antibiotikum korrekt eingenommen haben. Theoretisch ist es möglich, dass ein Rezidiv ausserhalb des VA Systems behandelt wurde, was jedoch eher selten der Fall ist, da die Behandlung im VA kostenlos für die Patienten ist. Bei Rezidiven wurde nicht zwischen einem Relaps (mit dem gleichen Keim) oder einer Reinfektion (mit einem neuen Erreger) differenziert. Damit kann nicht bewiesen werden, dass die kurze Therapie tatsächlich zu weniger Spätrezidiven führt. Alternativ wäre es möglich, dass kränkere Patienten mit hohem Rezidivrisiko in dieser nicht-randomisierten Studie eine längere Therapie erhielten.
Fazit
Trotz aller Limitationen rüttelt diese grosse Untersuchung an einem alten Dogma und lässt vermuten, dass bei vielen Männern Harnwegsinfekte auch kürzer als 7 Tage behandelt werden können und sollen. Eine mögliche Erklärung für die häufigeren Spätrezidive nach längerer Therapie ist eine ausgeprägtere Beeinflussung des Mikrobioms. Nur wenige Patienten erhielten eine 3 tägige Therapie, die in einer früheren randomisierten Studie bei Patienten mit Wirbelsäulenverletzungen zu signifikant mehr mikrobiologischen Rezidiven als 14 Tage geführt hatte (Dow et al. Clin Inf Dis 2004). Die Kunst wird sein Prädiktoren zu erkennen, wer für eine kurze Therapie geeignet ist und wie kurz lang genug ist.