Wenn der Chirurg den Patienten mit Hepatitis B ansteckt…

Bei einer Stichverletzung ist nicht nur der Arzt sondern auch der Patient gefährdet!

Hepatitis B lässt sich in hohem Masse durch eine Nadelstichverletzung übertragen (Risiko pro Stichverletzung ca. 6-37% bei HBeAg-Negativität und 19-37% bei HBeAg-Positivität). Bekanntlich wird nur ein Bruchteil aller Stichverletzungen im Operationssaal gemeldet (Thomas WJK, Murray JRD, Ann R Coll Surg Engl. 2009; 91(1):12-17). Dies mag daran liegen, dass das Vorgehen betreffend Meldung als aufwändig angesehen wird.

Doch aufgepasst: Eine Nadelstichverletzung birgt nicht nur die Möglichkeit der Übertragung von verschiedenen, viralen Erkrankungen auf den Verletzten in sich, sondern beim chirurgisch Tätigen besteht auch die Gefahr des umgekehrten Übertragungsweges. Letzteres zeigt sich exemplarisch anhand der im CID vorgestellten Studie.

Der illustrierte Fall
Im Rahmen der Exploration einer Stichverletzung wurde beim verletzten Orthopäden eine bis dahin nicht bekannte Hepatitis-B-Positivität (HBe-Ag ebenfalls pos., hohe Virämie, Quelle negativ) festgestellt (bis dahin galt er formal als „non responder“ nach 6 erhaltenen Impdosen). Konsekutiv wurde der Orthopäde vorübergehend von der interventionellen Tätigkeit dispensiert. Es wurden alle Patienten kontaktiert, die im Laufe der Anstellung (9 Monate) durch den Orthopäden operiert worden waren. 70% der operierten Patienten liessen sich befragen und mit Frage nach Hepatitis B-Susceptibilität und -Immunstatus untersuchen.

Eine aufwändige "lookback"- Untersuchung
Letztendlich fanden sich 232 Patienten, hierbei zeigte sich bei zwei Patienen eine aktive Hepatitis B und bei 8 eine Serokonversion (Anti-HBc und Anti-HBs pos.). Bei letzteren in 6/8 ohne „life time risk“ für Hepatitis B mit in 1/6 dokumentiert neg. Serostatus vor dem operativen Eingriff und bei 1/8 pos. Serostatus bereits vor dem Eingriff (somit insgesamt 8 Patienten mit mindestens vermuteter Übertragung durch die Operation).

Die genetische Analyse erbrachte bei den 2 aktiven Hepatitiden eine mind. 99.9%-ige Übereinstimmung mit dem HBV-Genom des Orthopäden. Als Kontrollen wurden Isolate der Universität Virginia verwendet, die allesamt andersartige Subtypen aufwiesen. Somit zeigte sich eine bestätigte Übertragung bei 0.9% und eine vermutete Übertragung bei 2.6% der operierten Patienten (bestätigt und vermutet zusammen 3.4%).

Vergleichsweise "harmlose" Eingriffe
Die retrospektive Analyse der operativen Eingriffe ergab bei den 8 vermuteten Ubertragungen hälftig Knie- und Hüftprotheseneingriffe, die technisch gesehen vorbildlich durchgeführt worden waren. Das konsequente Tragen gedoppelter Handschuhe wurde bestätigt, der Wechsel nach längerem Eingriff angegeben. Die Nadelstichverletzung, die zur weiteren Abklärung führte, stellte die erste Meldung durch den Orthopäden dar. Gemäss der Befragung konnte keine andere vorgängigige erinnerliche Verletzung (die allenfalls nicht gemeldet wurde) eruiert werden, was die Autoren der Studie veranlasst,  z.B. Mikroverletzungen zu postulieren (danebst ist aber ein „underreporting“, wie eingangs erwähnt, sicher auch möglich!).

Spitäler in der Pflicht
Somit sollte das Ziel jedes Spitals die systematische Überprüfung des Hepatitis-B-Status (und Gewährleistung eines entsprechenden Impfschutzes) jedes Mitarbeitenden mit Patientenkontakt sein. Dies sowohl zum Schutz des Mitarbeitenden wie auch des Patienten. Wie auch durch das BAG empfohlen (Hepatitis B, 1997), muss im Falle eines fehlenden Impfansprechens (Anti-HBs <10U/l) nach einer ersten Auffrischimpfung (also nach insg. 4 Impfdosen bei >15-Jährigen) aktiv eine Hepatitis B-Infektion gesucht werden (HBs-Ag und Anti-HBc). Daneben sollte natürlich auch das vermehrte Melden von Stichverletzungen propagiert werden und das Meldewesen/die entsprechende Abklärung möglichst anwenderfreundlich und effizient erfolgen. Speziell am geschilderten Fall ist zudem, dass der Orthopäde aus einem Land mit hoher Hepatitis B-Prävalenz stammt (>2%), was bereits zum Zeitpunkt der Anstellung zur Abklärung des Hepatitis B-Status führen sollte.

Quelle: Enfield et al., CID 2013;56(2):218–24