Bakterielle Resistenz: Die wahre Bedrohung für das 21. Jahrhundert?
In der ersten ICAAC Keynote Lecture gab David Livermore aus London einen engagierten Überblick über die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen in den letzten 30 Jahren. Keine gute Aussichten, wenn man die genetische Flexibilität der Bakterien der zögerlichen Medikamentenentwicklung gegenübersetzt.
Im Vortrag wurden drei Probleme dargestellt:
- Die Trends der Resistenzentwicklung (bei Gram-neg. Keimen)
- Die genetische Flexibilität der Keime
- Die demographischen Veränderungen weltweit
Der Autor hat zunächst die Situation geschildert, in der er am Anfang seiner Karriere vor 30 Jahren stand: Resistenzmutationen waren bekannt, aber wenn ein Bakterium ein Resistenzgen/-plasmid trug, dann immer nur eins. Kombinationen von Resistenzen gab es nicht.
Carbapeneme waren in der letzen Entwicklungsphase, man erwartete ihren grossen Siegeszug gegen alle resistenten Gram-negativen Keime und auch Pseudomonas. Und drittens: China und Indien waren zwei Länder mit 2/3 der Weltpopulation ohne ökonomische Bedeutung mit wenig Einsatz von neuen Medikamenten.
Die Situation hat sich dramatisch verändert: Livermore hat anhand von E.coli (und wenig Beispielen mit Klebstellen) gezeigt, dass die Bakterien heute eine Vielzahl von Resistenzmutationen genetisch erwerben. Auch hat er am Beispiel von ESBL deutlich gezeigt, dass diese, in den letzten Jahren zunehmende Resistenzgruppe mit einer deutlich höheren Sterberate einhergeht (1.9 x häufiger als nicht-resistente Keime, s. Abbildung –> Klick zur Vergrösserung, Schwarber et al,, JAC 2007)
Heute haben wir in ganz Europa einzelne Cluster verschiedener Carbapenemasen und in Griechenland eine Prävalenz von Carbapenem-Resistenz von über 50%. Das ist immens! Noch vor 4 Jahren lag die Resistenzrate bei 25%. Es dürfte eine Frage der Zeit sein, dass sich diese Resistenzen in ganz Europa ausbreiten. Gut verständlich, dass das Europäische CDC letzte Woche eine Empfehlung verfasst hat, in der es die Weiterverbreitung von Carbapenemasen durch eine Kontrolle von Patiententransfers zwischen Europäischen Spitälern vorschlägt (ECDC 13.Sept.11). Doch Livermore hat auch darauf hingewiesen, dass man nicht nur Infektionen, sondern auch Kolonisationen mit resistenten Keimen beachten soll. Die Zahl kontaminierter Patienten ist noch um ein Vielfaches höher.
Eine wesentliche Voraussetzung der Bakterien für die Erweiterung ihrer Resistenzlage ist ihre Fähigkeit, genetische Mutationen über Plasmide auszutauschen. Diese genetische Fluidität, wie Livermore sie nannte, ist die Hauptursache für das Problem. Aber ein weiterer, bedeutender Faktor ist, und da weist Livermore auf den letzten Punkt hin, die massive Zunahme des Antibiotika-Einsatzes in Indien und China. Dort sind heute die häufigsten Resistenzprobleme zu erwarten, wie im vergangenen Jahr mit dem multiresistenten E.coli in England zu sehen war, der praktisch nur bei Personen aufgetreten war, die in Pakistan oder Indien hospitalisiert waren (BBC, 11.8.2010). Tatsächlich findet man in Pakistan eine weite Verbreitung der verantwortlichen NDM-1 Resistenzmutation.
Livermore schloss mit der Schilderung der demographischen Probleme vor allem in China und Indien, wo noch eine massive Zunahme der älteren Bevölkerung bevorsteht. Der Menschen also, die am häufigsten unter Infektionen mit Gram-negativen Keimen leiden. Abschliessend hat er erwähnt, dass es immer schwieriger werde, neue Medikamente auf den Markt zu bringen, da die Hürden für eine Marktzulassung immer höher würden. Speziell die amerikanische Zulassungsbehörde FDA macht dies immer schwerer, um die Sicherheit für Patienten zu erhöhen. Doch letztendlich laufen wir hier in eine paradoxe Entwicklung, die er in einem Satz treffend umschrieb: Einfache Zulassungen für notwendige Medikamente sind nicht mehr möglich, denn: "The goal is denied because the perfect is demanded". In der Tat: ein Paradoxon!