PR SHE-Meeting 1

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Standortbestimmung der Situation von Frauen mit HIV in Europa

In Europa machen Frauen ca. einen Drittel der HIV-Patienten aus, mit Streuung von minim 18% (Deutschland) bis 34% (Italien). Bei den Neudiagnosen betrug 2008 der Anteil der Frauen 35% (WHO 2009). Das Durchschnittsalter der Frauen liegt zumeist zwischen 30 und 40 Jahren; eine Ausnahme stellt Rumänien dar, mit durchschnittlich 20 Jahren. In Europa sind mehr HIV-positive Frauen Migrantinnen als Nicht-Migrantinnen. Dabei ist der Anteil der Migrantinnen in England und Frankreich  mit rund 70% am höchsten, wohl auch verursacht durch die koloniale Vergangenheit. Die meisten Migrantinnen stammen aus Sub-Sahara-Afrika, gefolgt von Süd-(Ost-)Asien und der Karibik. Migrantinnen haben ein erhöhtes Risiko, ihre HIV-Diagnose im Rahmen einer Schwangerschaft zu erfahren (Del Amo 2010) bzw. zu den Late presenters zu gehören (Lanoy 2007, Van Lunzen 2009). Zugang zu HIV-Versorgung kann bei ihnen erschwert sein durch (tatsächliche oder nur befürchtete) Kosten, Angst vor einem mit der HIV-Diagnose assoziierten Stigma (UNAIDS 2011, WHO 2003) und, je nach Herkunft, möglicherweise abweichendem Gesundheits- und Medizinverständnis.


Zumeist haben sich Frauen in Europa auf heterosexuellem Weg infiziert. Russland bildet die Ausnahme mit je zu 50% Übertragung heterosexuell bzw. durch intravenösen Drogenkonsum.
Frauen stellen etwa ¼ der Drogenkonsumierenden in Europa. In Russland ist der Anteil HIV-Infizierter unter den 1,8 Millionen IVDU mit 37% erdrückend; in Estland und der Ukraine liegt der Bevölkerungsanteil HIV-infizierter Drogenkonsumenten bei ≥ 5/100`000, eng gefolgt von Lettland, Litauen und Portugal.
Nur spärliche Daten gibt es zur HIV-Prävalenz bei  Sexarbeiterinnen (s. Abb. 1 links: HIV-Prävalenz bei Sexarbeiterinnen)

 Nicht überraschend, liegen viele der genannten Probleme, die zur Marginalisierung von Frauen beitragen, überlappend vor. Was bedeutet  eine HIV-Diagnose emotional für eine Frau?

Wahrscheinlich (nicht anders als für einen Mann) erst einmal einen gewaltigen Einschnitt. Besonders belastend dürfte eine HIV-Neudiagnose in der Schwangerschaft sein. Aber auch ausserhalb der Schwangerschaft zeigen sich bei Frauen Erschwernisse in der Verarbeitung und Akzeptanz der HIV-Diagnose (s. Abb. 2 unten).

Dabei gibt es Hinweise, dass Frauen höhere Raten an Stress, Depression, Angst und Suizidalität aufweisen als männliche HIV-Patienten und weniger emotionale Unterstützung von Partnern und Familie erhalten (Bravo 2010, Gordillo 2009). Eine italienische Studie, bei der 30 Ärzte nach ihrer Einschätzung zu über 1200 HIV-Patienten (davon 34%  Frauen) befragt wurden, wies für die Frauen eine häufigere Zuschreibung von Ängstlichkeit und Depression und geringere Krankheitsakzeptanz auf (Murri, abstract IAS 2009).

Wahrscheinlich dürften sowohl die genannten sozialen Hintergründe der meisten HIV-positiven Frauen in Europa, als auch ihre Schwierigkeiten mit der Auseinandersetzung mit der Erkrankung (mit)verantwortlich dafür sein, dass es rund um HIV-infizierte Frauen eher "ruhig" ist. Dies war während der ersten 2 Jahrzehnte mit der HIV-Epidemie anders, die vor allem in Europa und den USA durch einen zum Teil „lauten“ Kampf um Rechte HIV-Infizierter, Zugang zu Medikamenten(-studien) u.a. und durch oft gut vernetzte Lobbyarbeit besonders von Gay-Organisationen charakterisiert war.