Patientenurteil: Ärzte sprechen zu wenig über Sex!
Wenn es nach den Wünschen unserer Patienten geht, so dürften wir in der Sprechstunde ruhig noch etwas mehr Fragen rund um Sex stellen. Ein deutliches Urteil von Autoren der Universität Lausanne.
Das Team des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Lausanne hat lange Erfahrungen in der Befragung von Menschen zu Sexualverhalten und sexueller Gesundheit. Das Institut evaluiert seit Jahrzehnten die Schweizerische Stop-Aids Kampagne und beobachtet Veränderungen im Sexualverhalten.
Anonyme Befragung
Die Autoren verteilten in den Jahren 2006/07 einen anonymen Fragebogen an etwas weniger als 3’000 männliche Patienten in zwei Ambulatorien. Leider berichten die Autoren nicht, welche Fachrichtung diese Ambulatorien haben. Gut die Hälfte der Kontaktierten haben den Fragebogen beantwortet. Drei zentrale Fragen wurden gestellt:
- Möchten Sie, dass Ihr Arzt Sie auf sexuelle Themen anspricht?
- Wurden Sie schon zu Fragen rund um Sex und Präventionsverhalten von einem Arzt angesprochen?
- Eigenes Sexualverhalten
Dabei zeichnen die Autoren ein Bild, das so deutlich ist, dass es kaum zu glauben ist: 95% aller befragten Männer finden es normal, dass sie von Ihrem Arzt auf Fragen zu ihrem Sexualverhalten angesprochen werden, 90% wünschten sich sogar, dass ihr Arzt dies tun würde (nicht wenige finden sogar, er sollte dies beim ersten Gespräch tun!). Doch nur gerade ein Drittel der befragten Männer berichtet, dass sie von ihrem Arzt bereits einmal auf ihr Sexualverhalten angesprochen wurden.
Let’s talk sex
Offenbar ist es für uns Ärzte nicht anders, als für Patienten auch. Wir sind nicht gewöhnt, am Stammtisch oder sonstwo über unsere sexuellen Erfahrungen zu sprechen. Und doch scheint es vielen Patienten ein Bedürfnis zu sein, sich mehr über ihre eigenen sexuellen Erfahrungen mit einer Fachperson austauschen zu können. Wie alles andere im Leben, das wir lernen müssen, geht das nur durch: üben, üben, üben. Vielleicht die wichtigste Lektion, die uns die Autoren mit dieser Arbeit vermitteln ist die Erkenntnis, dass unsere Patienten es geradezu erwarten, von ihrem Arzt, ihrer Ärztin zu Fragen ihres Sexuallebens angesprochen zu werden. Offenbar liegen in diesem Bereich viele Fragen verborgen, die nach einer medizinisch, fachlichen Antwort suchen.
Gespräch über Sexualverhalten ist möglich
In der HIV-Sprechstunde haben wir gelernt, regelmässig (mind. 1 – 2 mal pro Jahr) Fragen zum Sexualverhalten mit unseren Patienten zu besprechen. Und tatsächlich bin ich immer wieder von Neuem überrascht, dass dies die meisten Menschen überhaupt nicht peinlich finden, sondern dass sie gerne berichten und auch oft Fragen haben. Themen, über die man sich sonst nicht wirklich aussprechen kann, spricht man gerne mit einer ärztlichen Person, von der man weiss, dass das Gespräch unter vier Augen bleibt. Die Arbeit aus Lausanne sollte uns motivieren, dem offenbar grossen Bedürfnis unserer Patienten stärker gerecht zu werden: üben, üben, üben!
Und wir werden bald erkennen: Yes, we can!