Das Hirn schrumpft – unweigerlich

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Die Infektion der verschiedenen Reservoirs, so auch des ZNS erfolgt sehr früh bei einer HIV-Infektion.

Die meisten Daten dazu haben wir aus Tierversuchen. Valcour stellte eine Studie vor, durchgeführt bei thailändischen Patienten mit HIV-Primoinfektion (Fiebig-Stadien I-IV), die extensiv untersucht wurden inkl. CSF-Analyse (n=19). Eine Virusreplikation war im CSF bereits nach 8 Tagen nachweisbar. Allerdings war bei 3 Patienten, trotz sehr hoher Plasma-VL keine Virusreplikation im CSF nachweisbar. Es zeigte sich auch eine frühe Entzündung mit hohen Werten für Neopterin, MCP-1, IP-10 und IL-8, während IL1a/b, Il-4, Il-5 und INF-Gamma nicht oder nur minimal erhöht waren. Die Entzündung scheint v.a. in den Fiebig-Stadien II und III hoch zu sein. Natürlich fehlt ein longitudinales Follow-up im Sinne einer natural history, da praktisch alle Patienten behandelt wurden. Die Hälfte der Patienten beklagten Kopfschmerzen, aber es fand sich keine Korrelation zwischen diesem Symptom und den Liquorbefunden.

 
Eine Untersuchung in der Chicago Early HIV Cohort Study analysierte mit Hilfe von high resolution neuroanatomic imaging strukturelle Hirnveränderungen bei Patienten mit früher HIV-Infektion (< Jahr).
 
In den volumetrischen Analysen fand sich ein sehr früher Verlust von grauer Substanz. Etwa die Hälfte der Patienten war unter cART. Die sample size war allerdings klein (n=43, Kontrollen = 22) und in wie weit Confounders (Nikotin, Alkohol, Drogenkonsum) berücksichtigt wurden, ist nicht ganz klar.
 

 

Progression HAND unter cART
(Bild fehlt im Ordner)

Eine longitudinale Studie (The HIV Neuroimaging Consortium Study) von Patienten mit chronischer HIV-Infektion (Dauer der Erkrankung im Mittel 12 Jahre) zeigt eine progrediente neurologische Störung bei vielen Patienten auch unter cART. Hauptrisikofaktor für eine Progression ist ein tiefer CD4-Nadir vor Start der ART. Diverse Faktoren scheinen aber eine Rolle zu spielen, wie Kontrolle der HIV-RNA, Immunaktivierung, Dauer der antiviralen Therapie und Dauer der HIV-Erkrankung. Bradford argumentiert für routinemässiges Monitoring der Hirnfunktion, welches möglicherweise schon früher in der Infektion starten soll. Er gibt aber keine Empfehlung, wie das in der Routine erfolgen soll.
 
Swanstrom zeigte, dass es 2 verschiedene Phänotypen von HIV im ZNS bei Patienten mit HAD gibt: 1) ein T-Zell-tropes Virus bei hoher CD4-Zellzahl (T-Zell Influx ins ZNS), assoziiert mit Pleozytose und 2) ein Makrophagen-tropes Virus bei tiefer CD4-Zellzahl. Ob die unterschiedlichen Phänotypen mit verschiedenen Zytokinmustern assoziiert sind, soll als Nächstes abgeklärt werden.
 
Fell et al. haben am Makaken-Modell (CD8-depletiert -> raschere Entwicklung von HAND) die Beziehung der SI-Viruslast in den 3 Kompartimenten Plasma, Hirn und CSF untersucht. Sie fanden eine gute Korrelation der VL im Hirngewebe und im Plasma, hingegen keine gute Korrelation des VL in Hirn und CSF. Auch fanden sie eine gute Korrelation zwischen VL im Hirn resp. Plasma und struktureller/funktioneller Schädigung des Hirns. Weiter dokumentierten sie eine gute Korrelation des Ausmasses der Hirnschädigung mit CD14+CD16+ Monozyten im Blut (gemessen in der Flow-Zytometrie).
 
Ebenfalls am Makakenmodell wurde der Effekt einer Maraviroc-Monotherapie auf die ZNS-Infektion untersucht (Mankowski). Dabei zeigte sich nicht nur ein deutlicher Effekt auf die Virusreplikation im ZNS (VL-Abfall ausgeprägter als im Blut) unter MVC, sondern auch eine reduzierte, zelluläre Immunantwort, eine reduzierte Makrophagenaktivierung im Hirn und eine verminderte Akkumulation von APP (Amyloid Precursor Protein) als Hinweis für eine verminderte Neurodegeneration. Eine zusätzliche Behandlung mit Maraviroc bei Patienten unter cART mit persistierenden neurologischen Problemen könnte somit einen neuroprotektiven Effekt haben.