HIV: Pille statt Kondom funktioniert. Hoher Preis!

PrEP wirkt! Die Pille davorJetzt ist die Katze aus dem Sack: Die erste Studie mit einer Tablette zur HIV-Prävention zeigt Wirkung. Eine gute Idee, mit vielen Tücken!

PrEP-Daten sind da!
Wir haben lange auf die eigentlich für nächstes Jahr angekündigten Resultate der ersten Studie zu PrEP (pre-Expsosure-Prophylaxe) gewartet . Nun ist sie schon früher als erwartet im NEJM publiziert worden.

PrEP wirkt
Die Resultate können auf zwei Arten interpretiert werden: Grossartig der Effekt, für diejenigen, die die Pille einnehmen. Doch insgesamt kann die Studie der Methode selbst – also der regelmässigen Einname einer Tablette zur Verhinderung einer Infektion – kein wirklich ein gutes Zeugnis ausstellen. Eine Reduktion des HIV-Infektionsrisikos um 44% ist eigentlich eher dürftig.

Was wurde untersucht?
In dieser randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie wurde erstmals der Effekt einer täglich einzunehmenden Tablette zur Prävention der HIV-Infektion untersucht. Die Studie wurde in 6 Ländern an 11 Zentren bei Männern durchgeführt, die Sex mit Männern (MSM) haben und ein hohes Risikoverhalten aufwiesen. Die Rekrutierung dieser Probanden erfolgte sehr rasch, die Erwartungen waren demenstsprechend hoch. Knapp 2500 Männer wurden in Rekordzeit eingeschlossen und randomisiert. Die Hälfte erhielt eine Tablette Truvada®, die andere ein Placebo. Zusätzlich wurden zahlreiche Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Alle Patienten wurden in einem monatlich durchgeführten Beratungsgespräch auf HIV getestet. Zudem wurde eine Hepatitis-B Imfpung angeboten und es wurden regelmässige Kontrollen zu Geschlechtskrankheiten durchgeführt. Auch die Tabletteneinnahme wurde kontrolliert und Langzeitnebenwirkungen (Knochen, Nieren!) monitorisiert.

Was zeigt die Studie?
Klicken auf Bild zum VergrössernEinfach zusammengefasst zeigen die Resultate eine Senkung der Infektionsrate um 44%. In der Placebogruppe wurden nach einer medianen Beobachtungszeit von 1.2 Jahren 64 Männer HIV-positiv. Das ist eine stolze Inzidenz von 4.2% pro Jahr und damit  höher als die erwartete Rate von 3.0%. Dies erklärt auch die verkürzte Studiendauer. Im Gegensatz zu dieser hohen Inzidenz, war die Inzidenz in der Medikamentengruppe mit 2.4% nicht gerade tief (36 Personen). In der nebenstehenden Abbildung (Click für Vergrösserung) sieht man gut, dass diese Infektionen in der behandelten Gruppe (blau) über die ganze Beobachtungsperiode auftraten und sogar gegen den Schluss noch zunahmen, was einen gewissen "Verleidungseffekt" nahelegt.

Adhderence ungenügend
So gesehen sind die Resultate enttäuschend. Doch ein Medikament kann nur wirken, wenn es eingenommen wird. Und das ist der entscheidende Punkt in dieser Studie. In den ersten 4 Wochen war die Adhärenz (Einnahme entsprechend Plan) echt lausig. Gemäss Probandenangaben hatten die Männer der Truvadagruppe eine Adherence von 89% (Placebo 92%, p<0.001). Später stiegen diese Nennungen dann auf 95%. Wenn man aber den Verbrauch der Tabletten berücksichtigte, sank die Adhärenz nach 1 Jahr auf 91%.Klicken auf Bild zum Vergrössern

Das sind Durchschnittswerte. Doch untersucht man (kleine Sub-Studie) die Medikamentenspiegel bei den Personen, die HIV-infiziert wurden, so fand sich bei den meisten "cases" kein Medikament in den Blutzellen (nur zwei hatten nachweisbare, aber sehr tiefe Medikamentenspiegel, -> s. Abb., Klick für Vergrösserung). Dabei fand man bei den nicht-infizierten Kontrollpersonen gute Blutwerte. Der intrazelluläre Nachweis von TFV (Tenofovir; einer Komponente von Truvada) ist sehr aussagekräftig, weil das Medikament über eine Woche in den Zellen bleibt. Wer also intrazellulär kein Medikament hat, hat auch lange nichts mehr eingenommen.

Wie das Kondom: richtig angewendet wirkt es ausgezeichnet!
Eine Wirksamkeit von 44% ist etwa so gut wie ein guter Einsatz von Kondomen. Auch hier haben wir es mit einer schlechten "Adherence" zu tun. Insgesamt hat die Studie somit nicht den gewünschten Effekt gezeigt. Der grosse Aufwand rechtfertigt eine routinemässige Prophylaxe mit einer täglich einzunehmenden Pille wohl nicht.

Oder anders ausgedrückt: 1226 Personen mussten während durschnittlich 1.2 Jahren jeden Tag eine Tablette einnehmen (oder habe diese auch vergessen) um 28 HIV-Infektionen zu verhindern. Würde man den bei uns gängigen Preis (1’066.- CHF/Mt) für diese Tablette einsetzen, so wären die Kosten immens: Die Prävention einer einzigen HIV-Infektion würde somit 670’000.- CHF kosten.

Weiter zuwarten auf neue Studien
Wir können wohl diese Methode als kaum brauchbar ad acta legen. Allerdings zeigt die Studie, dass das Medikament wirksam gegen HIV schützen kann (wenn eingenommen). Es fragt sich nun, ob die intermittierende Einnahme des Medikamentes, also dann, wenn jemand Sex hat, eine bessere Adherence und somit Wirksamkeit erzielen würde. Diese Studien laufen noch und die Ergebnisse werden frühestens in 2 Jahren vorliegen. Wir bleiben am Ball.

Quelle: Grant et al, NEJM 23.11.10