Weniger HIV Medikamente Bessere Therapie
Von allen Therapiestrategien ist wohl der Trend zu weniger Medikament besonders attraktiv. Mit dem Einsatz geringerer Medikamentenmengen, ist wohl die Wahrscheinlichkeit von (Langzeit-)Nebenwirkungen zwingend reduziert. Doch wir dürfen uns den Nutzen nicht durch Einbussen bei der Wirksamkeit einkaufen. So haben wir – sozusagen als die Pioniere der HIV-Monotherapie – schon 2002 begonnen, unter gut kontrollierten Bedingungen Patienten mit Ritonavir-geboosteten Protease-Hemmern zu behandeln (Kahlert 2005, Vernazza 2007). Die Idee hatte viele Nachfolger auf den Plan gerufen. Kaletra Monotherapie (z.B. Pulido 2008) wurde zum Renner und die Darunavir-Monotherapie-Studie (Monet) läuft immer noch mit Erfolg. Doch in Wien haben wir gezeigt, dass ein Teil dieser „gut“ supprimierten Patienten einen Anstieg der Viruslast im Gehirn haben, etwas, was wir uns wohl zuletzt wünschen würden.
Zurück zum Start? Nicht wirklich: Die neue Option heisst Dual-Maintenance. Wir sind uns einig, dass Therapien heute mit einer Dreierkombination eingeleitet werden müssen (mehr bringt nichts, wie schon 2002 gezeigt wurde). Doch dann könnten tatsächlich auch zwei Medikamente genügen. Neuerdings werden auch Studien mit neuen, hochpotenten Zweierkombinationen gleich zu Beginn der Therapie durchgeführt.
Zwei sind genug – solange genügend potent
Einen Schritt weiter gingen die Autoren der Präsentation H-205 (Ruane et al). In einer kleinen Studie aus einer Praxis in Los Angeles wurden 30 Patienten unter gut supprimierter Viruslast auf eine Zweiertherapie mit Raltegravir (RAL) und Atazanavir (ATV, 400mg) umgestellt. Fast alle (25) hatten zuvor eine PI-basierte Therapie erhalten (davon 19 mit ATV). Nach 48 Wochen war bei den meisten Patienten unter dieser Zweiertherapie die HIV-Viruslast noch vollständig supprimiert (<50 kop/ml, ITT: 25/30, 83%). Das Problem dieser Studie – aus heutiger Sicht – ist die Tatsache, dass Raltegravir zweimal täglich dosiert wurde, eine Behandlung, die sich längerfristig wohl nie etablieren wird. Doch die Studie hat gezeigt, dass zwei Medikamente durchaus genügen können, um eine HIV-Suppression zu erreichen, wenn sie genügend potent sind.
Eine zweite Monozenterstudie (Fallon et al, H-214) hat ebenfalls 30 Patienten mit einer PI-Raltegravir Zweier-Kombination behandelt, allerdings mit Kaletra und das gleich zu Beginn der Therapie. Auch diese Studie konnte eine gute Suppressionssrate feststellen (80% bei zuvor Unbehandelten; 67% bei Vorbehandelten). Aber auch diese Studie kann nur als Pilotstudie für eine grössere, kontrollierte Studie gelten.
Allerdings ist der Preis bei diesem Therapieprinzip noch zu verbessern. Nach heutigen Grundlagen ist die Behandlung mit ATV oder LPV und RAL noch immer etwa 9000.- Franken (oder ca. 30%) teurer im Jahr ist als eine einfache NNRTI-basierte Dreierkombination. Doch diese Behandlung dürfte in Bezug auf Verträglichkeit gute Karten haben. Allerdings kann eine Studie mit 30 Patienten wohl höchstens als Pilotprojekt angesehen werden. Weitere Ergebnisse mit dieser Zweier-Maintenance stehen also noch aus.
Aries: Der einzige unboosted PI setzt sich durch
Nachdem Patienten anfangs erfolgreich mit Ritonavir-geboostetem Atazanavir (300/100mg, plus ABC+3TC) supprimiert wurden, wurden sie im ARIES-Trial randomisiert und entweder mit derselben Standardtherapie weiterbehandelt oder auf ungeboostetes Atazanavir (400mg) umgestellt. Jetzt wurden hier die Resultate der geplanten Interim-Analyse nach 120 Wochen vorgestellt (Squires et al, H-204). Es lässt sich einfach zusammenfassen: es gab keinen Unterschied zwischen den beiden Behandlungsgruppen. In beiden Armen hatten gut 83% der Patienten auch nach 120 Wochen noch eine nicht nachweisbare Viruslast und auch der Anstieg der CD4 Zellen war identisch.
Was sich sehr schön zeigte, war der deutliche Unterschied in der Anzahl von Patienten mit Nebenwirkungen (Grad 2-4, 12% vs. 21%). Dies zeigt doch, dass auch mit einem geringeren Medikamentenspiegel eine einmal etablierte Virussuppression erhalten bleibt, und das bei besserer Verträglichkeit. Der Wegfall von Ritonavir hat auch den grossen Vorteil, dass die Häufigkeit von Interaktionen mit anderen Medikamenten geringer ist.
Nicht weniger – aber günstiger und erst noch gut!
Das Interessanteste entwickelt sich zurzeit im Bereich der HIV-Therapiestrategien auf dem Gebiet des günstigsten NNRTI. Nevirapine ist mit 400.- CHF/Monat noch 100.- CHF günstiger als Efavirenz und gut 500.- CHF günstiger als die meisten PIs; von den neuen Medikamenten wie Raltegravir oder Maraviroc ganz zu schweigen. Auf das Jahr oder die Jahre gerechnet, ist das viel Geld. Da müssen wir uns überlegen, ob wir – wenn wir das Medikament selbst zahlen müssten – nicht mehr auf den Preis achten würden. Letztendlich bezahlen wir alle die Medikamente auch mit unseren Krankenkassen-Prämien.
Das Problem bei Nevirapin ist die initiale Hepatotoxizität. Knapp 20% der Patienten, die ihre Therapie mit Nevirapin beginnen, reagieren mit Hautausschlag oder einer Erhöhung der Leberwerte. Dies tritt häufiger auf, wenn die Therapie bei höheren CD4-Werten eingeleitet wird. Dies hat der Substanz – zumindest in der Schweiz – den Einstieg als Standardtherapie verwehrt. Nicht verwunderlich, da doch die Therapie immer früher eingeleitet wird. Doch wir vergessen dabei, dass 80%, Nevirapin gut vertragen und einen ausgezeichneten Langzeitverlauf haben. Die Arbeiten der ATHENA-Studie (JID, 2002) haben nun Nevirapin zu neuem Elan verholfen, denn die Holländer haben gezeigt, dass unter einer vollständig supprimierten Viruskonzentration die CD4-Abhängigkeit der Hepatotoxizität nicht mehr besteht.
Nevirapine wird nun neu in einer Formulierung entwickelt, welche mit Hilfe einer extended Release eine sehr stabile Viruskonzentration ohne Spitzenspiegel ermöglicht. Dadurch sollten- so die Theorie – auch weniger Nebenwirkungen auftreten.
Tatsächlich haben zwei Studien gezeigt dass die neue, galenische Form sehr gut vertragen wird und ausgezeichnet wirkt (s. Bericht infekt.ch). Am ICAAC wurden zwei Arbeiten präsentiert: eine Studie (TRANxITION) hat die Umstellung von Patienten (n=372) mit Suppression unter Standard-Therapie auf extended Release (XR) untersucht (randomisiert 2:1). Die andere Studie (VerxVE, Abstract H-1808) hat bei unbehandelten Patienten die neue XR-Formulierung randomisiert und mit der klassischen Nevirapin-Therapie verglichen.
Die erste Studie (Arasteh et al, H-207) hat gezeigt, dass Patienten problemlos auf XR umgestellt werden können. Allerdings hatten die Patienten unter XR-NVP über mehr Nebenwirkungen geklagt (76% vs. 60% AE, 6% vs. 3% SAEs). Die Autoren vermuten, dass dies auf das offene Trialdesign zurückzuführen war.
In der zweiten, von Boehringer gesponserten Arbeit (VERxVe, Gathe et al, H-1808), wurden über 1000 Patienten eingeschlossen. Die neue Formulierung war der Standardgalenik nach 48 Wochen Behandlung ebenbürtig (76% vs. 81% RNA<50). Die Substanz wurde in beiden Armen mit Truvada (TDF+FTC) kombiniert.
Der grosse Vorteil von Nevirapin (abgesehen vom Preis) ist die gute Langzeitverträglichkeit und das günstige Lipidprofil. Cholesterin und Triglyceride sinken eher unter der Therapie, als dass sie ansteigen, wie bei fast allen anderen HIV-Behandlungen.
Wenn nicht weniger Medikamente, so doch weniger dosiert?
Bei Patienten mit Niereninsuffizienz müssen gewisse NRTIs aufgrund von PK-Studien tiefer dosiert werden. Doch es ist kaum untersucht, ob die reduzierte Dosis nicht auch Wirkungseinbussen zur Folge hat. In einer retrospektiven Analyse (Patel et al, H-220) wurden unter 806 Patienten 59 mit dosisadaptierten NRTI (DA) identifiziert. Patienten in der DA-Gruppe wiesen eine ebenso gute Wirksamkeit auf wie die übrigen Patienten (92% Suppression vs. 82%). Patienten unter Tenofovir hatten auch eine signifikante Reduktion des Serum-Kreatinins, wenn die Dosis von Tenofovir angepasst wurde (-0.2mg/dl).
Rilpivirine (TMC278): Gut verträglich, nicht immer wirksam
Jo Eron hat die Daten der ECHO und THRIVE Studien vorgestellt, welche schon in Wien präsentiert wurden (H-1810). Das Spezielle an diesen beiden Phase-3-Studien ist, dass beide Vergleichssubstanzen (Efavirenz vs. Rilpivirine) unter dem Strich zu identischen Resultaten kommen (Suppressionsrate nach 48 Wochen, Intention to treat, TLOVR) doch auf unterschiedlichem Weg! Im EFV-Arm gab es deutlich weniger Resistenzen, doch im Rilpivirine Arm hatten weniger Patienten die Therapie abgebrochen. Im Klartext müsste dieses Resultat nun heissen: wir behandeln zuerst mit Efavirenz. Wenn der Patient die Substanz gut verträgt: super; wenn nicht: profitiert er von einer Umstellung auf Rilpivirine. Umgekehrt geht es nicht!
Am ICAAC wurden die ausführlichen Resistenzdaten vorgestellt. Tatsächlich zeigt sich in den beiden Behandlungsarmen (EFV vs. Rilpivirin) ein deutlich unterschiedliches Resistenzmuster (s. nebenstehende Abbildung). Dies ist erfreulich, bedeutet es doch, dass sich die beiden Substanzen bei Resistenzproblemen ergänzen könnten. Eron zeigte auch schön, dass das Auftreten von Resistenzmutationen mit einer schlechten Adhärenz einhergeht. Somit gilt auch heute noch, dass Adhärenz weiterhin ein wichtiges Anliegen einer guten HIV-Therapie darstellt.