Wenn wir Patienten eine HIV-Therapie empfehlen, so möchten wir sicher sein, dass sie keine Nebenwirkungen erleiden. Dabei fürchten wir uns vor allem vor Langzeitnebenwirkungen, die wir kaum erkennen können. So ist die befürchtete Osteoporose unter Tenofovir oder die heiss diskutierte, mögliche Erhöhung des Herzinfarkt-Risikos unter Abacavir ein wichtiges Thema. Neue seltene und kaum erkennbare Nebenwirkungen kommen noch dazu.
QT-Zeit Verlängerung: Häufig unerkannt – aber selten ein Problem
Ein solches seltenes Problem stellt die Verlängerung der QT-Zeit im EKG dar. Es handelt sich um die Zeit der Erregungsrückbildung im Herzmuskel nach der Kontraktion der Herzkammer. Wir wissen, dass viele Medikamente diese Zeit verlängern und dass dies zum plötzlichen Herzstillstand durch Rhythmusstörung führen kann. Doch insgesamt ist dies ein seltenes Ereignis.
Die SMART Studie hat nun – vertreten durch Jens Lundgren – die EKG-Daten ausgewertet (Abstract H-218) und die QT-Verlängerung mit der PI-Therapie assoziiert. Tatsächlich findet sich bei Patienten mit allen ritonavir-geboostetem PIs eine diskrete Verlängerung der QT-Zeit. Doch es bleibt unklar, ob diese messbare Verlängerung der QT-Zeit tatsächlich zu einem erhöhten Risiko für einen akuten Herztod führt. Ein neues Feld für D:A:D?
Abacavir und Herzinfarktrisiko
Vor zweieinhalb Jahren hat die D:A:D Studie zur Assoziation von erhöhtem kardiovaskulärem Risiko mit Abacavir für grosses Aufsehen gesorgt. Die meisten Spezialisten haben seither bei Patienten mit einem 10-Jahres-Framingham-Myokard-Risiko über 20% auf Abacavir verzichtet. Die Daten blieben bis heute kontrovers und sind kürzlich wieder von einer Französischen Studie in Frage gestellt worden. Da das entsprechende Risiko nur während der ersten Monate der Abacavir-Therapie beobachtet wurde, hat man immer auch inflammatorische und besonders gerinnungsfördernde Faktoren für den möglichen Zusammenhang mit Herzinfarkt vermutet und weiter untersucht.In einem Late-Breaker Poster haben Diallo et al. (H-230a) in vitro eine mögliche Wirkung von Abacavir auf die Thrombozytenaggregation untersucht. Plättchenreiches Plasma (PRP) wurde mit oder ohne Abacavir inkubiert. In verschiedenen Tests wurden Plättchenaggregation, Thrombinbildung (s. Abbildung) und Aggregationsverhalten nach Anwendung von Scherkräften untersucht. Unter Verwendung aller heute gängigen Methoden konnte keine messbare Erhöhung der Aggregations- oder Thrombenbildung von Thrombozyten durch Abacavir festgestellt werden. Somit findet sich in einem weiteren Puzzlestein kein gesicherter Zusammenhang zwischen Abacavir-Therapie und Herzinfarktrisiko. Da Abacavir in wenigen Jahren zu den günstig verfügbaren HIV-Medikamenten gehören wird, ist die Bestätigung der Sicherheit dieser Behandlung ein wichtiger Schritt in die Richtung einer finanzierbaren HIV-Therapie für alle!
Kardiovaskuläres Risko bei HIV: Auftritt des Gurus
Jens Lundgren darf schon fast als der Guru der kardiovaskulären Risiken bezeichnet werden. In seiner Plenary Lecture hat er den Stand des Wissens zusammengefasst. Dabei hat er sehr sorgfältig versucht, bestehendes Wissen von Spekulationen und Vermutungen zu trennen. Er hat schön gezeigt, dass das kardiovaskuläre Risiko bei HIV-Patienten deutlich erhöht ist. Ein wichtiger Faktor sind die zusätzlichen Risikofaktoren, allen voran das Rauchen selbst. Wenn es uns nicht gelingt, an diesem Risikofaktor etwas zu ändern, haben die weiteren Anstrengungen wohl nur kosmetischen Charakter. Dann der zweitwichtigste Faktor ist sicher die HIV-Infektion selbst. Ob eine Senkung dieses Risikofaktors durch eine Therapie auch bei hohen CD4 möglich ist, wird erst die jetzt anlaufende START-Studie klären können. Der dritte Faktor ist die Therapie selbst. Aber hier sind die Daten auch nach Lundgren lediglich aus Kohortenstudien entnommene Assoziationen. Protease-Hemmer scheinen mit einem höheren CVR einherzugehen und die bekannte Assoziation mit Abacavir war auch im Referat von Lundgren nicht mehr so prominent. Erneut hat er betont, dass er – solange wir nicht mehr darüber wissen – nur bei Patienten mit einem Framingham 10-Jahres-Risiko von über 20% diesen Faktor in die Wahl der Therapie einfliessen lassen würde. Dies betrifft die wenigsten unserer Patienten.
Cave Osteoporose! Das HIV-Problem der Zukunft
Tatsächlich werden die Mitteilungen zur Osteoporose immer häufiger. Wir wissen, dass HIV selbst die Demineralisierung des Knochens fördern kann. Eine Spanische Studie (Bonjoch et al, H-226) hat insgesamt 1656 Dexa-Messungen (Knochendichte) untersucht. Eingeschlossen wurden 391 Patienten, die zwischen 2000 und 2009 mindestens zwei Messungen hatten. Im Schnitt wurden diese während 8 Jahren behandelt. Bei 50% aller Messungen fand sich eine Osteopenie und gut die Hälfte davon hatte Kriterien einer Osteoporose (22% bei der ersten, 27% bei der letzten Messung).
Das Risiko einer Osteoporose war erhöht bei Patienten mit tiefem BMI sowie einer längeren Therapie mit Protease-Hemmern oder Tenofovir. Sicher ein Problem, dem wir längerfristig mehr Beachtung schenken müssen.
In einer Plenary Lecture hat Tod Brown unser Wissen zu den Problemen mit Osteoporose beim HIV-Management zusammenfasst (Symp 571). Tatsächlich dürfte dies in Zukunft ein grösseres Problem werden. Denn Patienten mit HIV-Infektion haben auch vermehrt die klassischen Risikofaktoren für Stürze, was zusammen mit der Osteoporose die Frakturrate erhöht: Einsatz von Sedativa, kognitive und visuelle Einschränkungen, Neuropathie mit Einschränkungen der unteren Extremität, Muskelschwäche und Vitamin D-Mangel. Brown sagt daher klar, dass alle HIV-positiven Männer ab 50 und Frauen nach der Menopause auf Osteoporose gescreent werden sollten. Dazu ist eine DEXA-Untersuchung angezeigt.
Die DEXA-Untersuchung kann den Schweregrad der Osteopenie messen: man spricht von Osteoporose, wenn der T-Score unter -2.5 liegt. Werte zwischen -1 und -2.5 werden als Osteopenie bezeichnet.
Die Frage, inwiefern Medikamente, insbesondere Tenofovir, den Zustand der Knochen verschlechtern, ist noch nicht definitiv zu beantworten. Brown betont, dass dies wichtigen Fragen sind, die wir noch in Zukunft beantworten müssen. Insbesondere sollten wir auch die Rolle der VitaminD-Substitution noch prüfen. Er selbst würde die tägliche Gabe von Vitamin D als Routinebehandlung vorschlagen. Die Abklärung von Vitamin D-Mangel ist zu aufwändig. Alles noch offene Fragen, die wir noch beantworten können.