Neue Strategien und neue Medikamente

 

Die HIV Therapie muss nach heutigem Stand des Wissens lebenslänglich eingenommen werden. Damit werden Fragen des optimalen Einsatzes von antiviralen Substanzen immer wichtiger. Braucht es wirklich immer drei Medikamente? Sind alle Medikamente gleich gut verträglich? Wie verhält es sich mit potentiellen Nebenwirkungen, die wir vielleicht erst in 20 Jahren sehen? Wann sollen wir die Therapie beginnen, wann abbrechen? Und gibt es Preisunterschiede, auf Grund derer man eine Therapie einer anderen vorziehen sollte?
 
Nach der SMART-Studie (NEJM 2006) sind wir sind heute ziemlich sicher, dass eine HIV-Therapie, wenn sie einmal begonnen wurde, nicht mehr unterbrochen werden soll. Doch das ist dann schon bald alles. Daraus ergibt sich sofort die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für den Therapiebeginn. Dazu gab es am ICAAC noch keine Antworten. Wir warten alle auf den Start-Trial, der noch in den Anfängen steckt.
 
Zweimal täglich ist out: Auch Darunavir drängt in den once-daily Himmel
Die Daten sind nicht mehr ganz neu. Darunavir (Prezista®) wurde zunächst für die zweimal tägliche Anwendung (2×600/100) mit Ritonavir entwickelt. Später wurde die einmal tägliche höhere Dosis bei Unbehandelten (1×800/100mg) eingeführt. Im ODIN-Trial wurde nun die einmal tägliche Gabe auch bei Vorbehandelten untersucht. Der Trial wurde bereits im Februar am CROI vorgestellt (s. AIDSmap). Am ICAAC wurden weitere Resistenzdaten vorgestellt (Lathouwers et al, H-1811). Dabei zeigte sich, dass die einmal tägliche Gabe auch bei vorbehandelten Patienten nicht zu mehr Resistenzproblemen führt. Es ist somit eine Frage der Zeit, bis alle Behandlungen nur noch mit 1x 800/100 durchgeführt werden.

 

 

 
 

Atripla – ab wie die Rakete – so der Wunsch der Firma 
Gilead hat durch die Partnerschaft mit MSD die Kombinationspille Atripla auf den Markt gebracht. Seit die Pille auf dem Markt ist, wird immer wieder gesagt, wie viel angenehmer eine einzige Pille ist. Eine Arbeit, die auch von Gilead finanziert und von G. Moyle aus England vorgestellt wurde, hat den Wechsel von Abacavir/3TC (Kivexa®) + Efavirenz (Stocrin®) auf Atripla® untersucht (H-1809). Auch hier ist sehr viel Marketing im Spiel. Hervorgehoben wurde die Reduktion des Cholesterinspiegels nach der Umstellung. Doch nicht nur das Gesamt-Cholesterin ist gesunken, auch das „gesunde“ HDL Cholesterin sank. Wenn man den für die Herzinfarkt-Prognose wichtigen Quotienten zwischen HDL/Cholesterin/HDL betrachtet, so zeigte sich praktisch keine Änderung. José Arribas hat die richtige Frage gestellt: Was ist die Bedeutung dieses Resultates? Denn wenn wir für einen Patienten vor/nach Umstellung das Herzinfarkt-Risiko berechnen, so zeigt sich kein Unterschied. Ein Beispiel mehr, wie man Daten suggestiv verkauft, um damit eine Aussage zu machen, die sich bei genauer Betrachtung in Luft auflöst. Natürlich ist es das gute Recht einer Firma, dies zu tun. Wir müssen einfach kritisch bleiben und solchen Tricks mit Skepsis begegnen.

 

In der gleichen Arbeit hat Moyle noch eine Untersuchung zur „Compliance“ oder mindestens zur Patientensicht der Therapievereinfachung vorgestellt. Dabei wurden die Patienten gefragt: „In general, how satisfied yre you with the convenienc and simplicity of your current treatment regimen“. Und tatsächlich! Die Patienten sagten praktisch alle, dass eine Tablette für sie „more convenient“ sei als zwei. Doch mit dieser sehr suggestiven Frage und auch durch den Provider manipulierbaren Antwort sehen wir wohl kaum einen dokumentierbaren Fortschritt. Es wäre interessant gewesen, wenn man die Patienten zusätzlich gefragt hätte: Wenn Sie es selber bezahlen müssten, wären Sie bereit für die improved convenience 1800 Franken Preisdifferenz pro Jahr zu bezahlen? Das würde mich sehr interessieren, ob sich hier auch noch ein so eindeutiges Resultat zeigen würde.