Das Immunsystem unter einer guten Therapie nicht mehr jungfräulich
Auch wenn wir mit einer HIV-Therapie erreichen können, dass CD4-Werte auf praktisch normale Werte ansteigen, so ist doch unklar, inwieweit das Immunsystem auch wirklich noch normal funktioniert. Wir werden vielleicht erst in vielen Jahren erfahren, dass das Immunsystem nur dann gut erhalten bleibt, wenn wir sehr früh, vermutlich in der Primoinfektion mit der Therapie beginnen. In der Plenary Lecture zum „Management of Immunologic Non-Responders“ hat Peter Hunt darauf hingewiesen, dass der fehlende Anstieg der CD4-Zellen sehr oft mit der Destruktion des lymphatischen Systems im Darm assoziiert ist. Eindrücklich waren auch seine bioptischen Bilder von Darmmukosa, welche eine deutliche Fibrosierung der Lamina propriae mucosae zeigten; ein Umstand der darauf hinweist, dass der einmal angerichtete Schaden nicht mehr gutzumachen ist. Ein wichtiges Argument für eine Frühtherapie, würde man meinen.
Darmflora und Immunsystem: Verdauung gut, alles gut?
Immunschadens durch die Translokation von Darmbakterien durch die durch HIV-geschädigte Darmwand erfolgt. Eine kleine, aber feine Arbeit wurde von Esther Merlini aus Mailand vorgestellt (H-1168). Die Autoren haben bakterielle Genprodukte im Blut von Patienten untersucht. Insgesamt wurden 44 Patienten eingeschlossen welche alle eine gute Virussuppression nach einem Jahr Therapie aufwiesen. Doch die Patienten wurden unterteilt in sog. Full-Responders (FR) oder immunologic Non-Responders (INR), je nachdem, ob ihre CD4 Zahl über 250 anstieg oder nicht. Entgegen der Erwartungen fand sich kein wesentlicher Unterschied an bakteriellen LPS oder Aktivierungsmarkern im Blut der beiden Gruppen. Hingegen fand man zwar bei beiden Gruppen bakterielle DNA im Blut, doch die prädominanten bakteriellen Spezies waren nicht dieselben in FR vs. INR. Die FR hatten vorwiegend Laktobazillus, während sich bei INR vermehrt Enterobakteriaceaen fanden. Die Autoren postulieren, dass mit einer peroralen Gabe von Probiotika – die Nahrungsmittelindustrie wird sich freuen – eine Verbesserung des immunologischen Ansprechens zu verzeichnen wäre. Doch auch hier müssen wir vorsichtig sein: es ist gut denkbar, dass der Nachweis der unterschiedlichen Keime einfach ein Marker für eine Schädigung der Darmmukosa darstellt. Aber jedenfalls ein interessantes Feld….
Hepatitis-A Impfung: Doppelte Dosis für HIV-Patienten
Eine Konsequenz aus der Beeinträchtigung des Immunsystems ist die schlechtere Immunantwort bei Impfungen. Bei Influenza- aber auch Hepatitis-B Impfungen (Cagigi et al, Lancet ID 2010; de Vries-Sluijs JID, 2008) haben wir gelernt, dass eine stärkere Aktivierung des Immunsystems notwendig ist, um bei HIV-Positiven eine genügende Immunantwort zu erzielen.
Männer, die Sex mit Männern haben, sind einem erhöhten Hepatitis-A (HAV) Risiko ausgesetzt. Daher wäre es sinnvoll, wenn wir diese auch gegen HAV impfen würden. Autoren aus Taiwan (Tseng et al, H217) haben gezeigt, dass die Impfantwort bei HIV-positiven MSM mit einer Standarddosis HAV ungenügend war. Doch wenn zwei Dosen (Mt 0 und 6) appliziert wurden, war die Antwort ebensogut wie bei HIV-negativen MSM nach einer Dosis (s. Abbildung).
H1N1: Wenig natürliche Immunisierung
Natürlich hat die Funktionsschwäche des Immunsystems nicht nur Auswirkungen auf Impfungen. Über ein Experiment der Natur wurde aus Australien berichtet (Kok, H-233). Diese Autoren haben die Serokonversion gegen das pandemische H1N1-Influenzavirus bei HIV-positiven gegenüber Nichtinfizierten verglichen. Interessanterweise fand sich in den beiden Gruppen etwa gleich häufig eine Serokonversion nach natürlicher Erkrankung. Man könnte postulieren, dass die natürliche Erkrankung eine viel stärkere Immunisierung verursacht als die Impfung, sodass dieser Resultat gut erklärbar ist. Die Autoren weisen aber darauf hin, dass 85% der Bevölkerung (und der HIV-Infizierten) KEINE Serokonversion durchgemacht haben und daher immer noch empfänglich für H1N1 sind. Daher sollten HIV-positive Menschen unbedingt auch in der nächsten Saison gegen H1N1 geimpft werden.
HIV-Immunschwäche schwächt auch bakterielle Abwehr
Die meisten Infektionen bei HIV-infizierten erfolgen durch Pilze, Protozoen oder Viren. Doch auch die Besiedelung, und sogar die schweren Bakteriämien mit Staphylokokkus aureus (SAB) sind bei HIV-infizierten häufiger, wie eine landesweite Studie aus Dänemark zeigte (Larsen H-235). Insgesamt wurden 284 Episoden von SAB studiert (132 unter 4900 HIV-pos und 152 unter 630’000 HIV-neg.). Menschen mit HIV-Infektion hatten ein deutlich erhöhtes Risiko an SAB zu erkranken (adj.-RR: 14.8). Ein tiefer CD4 Wert war der strengste Prädiktor für eine SAB unter HIV-positiven und in den letzten Jahren war der Trend deutlich rückläufig, besonders bei homosexuellen Männern.
It’s the Immune-System-stupid
Wir haben in unseren Zusammenfassungen immer wieder über die Bedeutung des Immunsystems berichtet. Offensichtlich dürfte ein grosser Teil des Schadens, den HIV anrichtet, auf eine inflammatorische Reaktion zurückzuführen sein. Da wir heute Patienten mit guten CD4-Zellen aber nicht behandeln, stellt sich die Frage, ob diese Patienten – auch wenn ihre CD4-Werte nicht wesentlich absinken – nicht doch auch Schaden unter der HIV Virusvermehrung nehmen, auch wenn die Virusvermehrung bei diesen Patienten bekanntlich geringer ausfällt.
Ein möglicher Schaden, der durch Immunaktivierung angerichtet wird, dürfte die Beschleunigung der Arteriosklerose und damit des Auftretens von koronarer Herzkrankheit darstellen. Bonila et al. (Abstract H-220) haben untersucht, ob Patienten mit gutartigem Krankheitsverlauf (long-term non progressoren, LTNP) ebenfalls gehäuft Herzkrankheiten und inflammatorische Marker aufweisen.
Die LTNP (n=13) waren mindestens 5 Jahre infiziert, mit stabilen CD4 und ohne Therapie. Verglichen wurden sie mit vergleichbaren HIV-negativen Kontrollen (Alter, Geschlecht). Die Resultate zeigten – verglichen mit HIV-negativen Kontrollen – Zeichen für einen „Schaden“ in Bezug auf die Karotis-Intima-Verdickung (0.94 vs. 0.85, nicht signifikant) aber auch eine Erhöhung von inflammatorischen Markern (löslicher TNF-Rezeptor, p=0.002).