Vaginale Mikrobizide – Endlich das Kondom für die Frau?

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Inhaltsübersicht: Kongressbericht Wien 2010

Vaginale Mikrobizide gelten seit Jahren als eine wünschbare Alternative zum Kondom, eine Alternative die von Frauen selbst eingesetzt werden könnte. Gemeint sind Substanzen, welche eine Frau vor dem Geschlechtsverkehr in geeigneter Form in die Vagina einführen kann und die dann die sexuell übertragene Krankheitserreger abtöten können. 

Vaginale Mikrobizide: Ein altes Anliegen
Die Idee ist schon 20 Jahre alt (Stein, Am J PublHealth, 1990): Frauen – das primare Ziel sind Frauen in Afrika – sollten selber über ihre Prävention bestimmen können und sich nicht auf die Anwendung eines Kondoms durch ihren Partner verlassen müssen. Doch die Entwicklung von möglichen vaginalen Mikrobziiden (VM) verlief harzig. Die erste Substanz, ein bekanntes Verhütungsmittel (Spermizid) Non-Oxynol-9 hat die wissenschaftliche community arg enttäuscht. Die erste gross angelegte Studie (NEJM 1998) mit diesem VM musste vorzeitig abgebrochen werden. Die Gruppe der Frauen, die mit dem Mikrobizid behandelt wurden, hatten eine erhöhte Infektionsrate. Man hat dies damit erklärt, dass die Substanz in der häufigen Anwendung die Schleimhaut reizte, was zu einer Entzündungsreaktion uns somit zum Einwandern von Entzündungszellen an den Ort des Geschehens führte. Doch gerade diese Entzündungszellen sind ja auch die Zellen, die vom HIV infiziert wurden. In der Folge hatten auch weitere Substanzen (Pro2000, etc.) in Studien versagt. Die dadurch in Verzug geratene Entwicklung der VM hat viele frurstriert (s. auch unseren Bericht aus 2005).

Proof of concept
Am AIDS Kongress in Wien wurde nun zeitgleich mit der Publikation im Science Online eine Studie vorgestellt, die wohl als Durchbruch in der Erforschung der VM in die Geschichte eingehen wird. Eine grosse Erleichterung für alle, die seit Jahren auf einen Durchbruch in diesem Gebiet gehofft hatten.

Zum ersten Mal wurde nun in einer VM-Studie ein HIV-Medikament eingesetzt. Die Frauen mussten jeweills 1-12h vor und erneut innert 12 h nach dem Sex (so rasch wie möglich) einen Gel mit 1% Tenofovir mit einem Applikator (Abb. links) in die Vagian einführen, aber nicht mehr als 2x innert 24h. Die Applikation wurde "BAT-24" genannt: (Before-After-Two doses in 24 h).

Intensive Betreuung und Präventionsgespräche
Die Frauen wurden monatlich gesehen, hatten jeden Monat ein Präventionsgespräch, mussten die gebrauchten und ungebrauchten Applikatoren mitnehmen (Adherence!), und wurden monatlich auf HIV getestet (HIV-Schnelltest). Insgesamt wurden 889 Frauen randomisiert und eingeschlossen. Das häufigste Ausschlusskriterium war eine bestehende HIV-Infektion. Die Dauer der Studie war nicht fixiert, sondern "Event-driven". Das heisst, das Protokoll sah vor, dass die Studie so lange durchgeführt wird, bis mindestens 92 Infektionen dokumentiert wurden. Damit kann man sicherstellen, dass eine Studie nicht zu früh aber auch nicht zu spät (zu viele Infektionen) abgeschlossen wird.

Klare Wirksamkeit, wenngleich nicht umwerfendKlicken auf Bild zum Vergrössern
Beim Studienabbruch gab es etwa 670 Patientenjahre pro Arm und ein signifiikanter Unterschied in der HIV-Inzidenz (pro 100 Frauenjahre) von 5.6 (Tenofovir) vs. 9.1. Dies entspricht einer statistisch signifikanten (p=0.017) Senkung der Inzidenz um 39% durch die Anwendung von Tenofovir Gel. Man kann nun das Glas halb voll oder halb leer betrachten. Natürlich hätten wir gerne eine 60-80% wirksame Massanahme. Doch wenn wir den Effekt mit einer Kondomempfehlung vergleichen, so ist die Wirkung doch enorm.

Die negenstehende Abbildung (klick auf Bild für Vergrösserung) zeigt, dass die Wirksamkeit der Massnahme mit der Zeit abnimmt. Tatsächlich war die Wirksamkeit in den ersten 12 Monaten bei 50% nahm dann aber sukzessive ab. Die Autoren haben schön gezeigt, dass die Adherence ein klarer Faktor ist, welcher die HIV-Inzidenz beeinflusst. (s. unten). Mit anderen Worten: Wir haben eine Methode, die Frauen vielleicht nahezu oder genauso wirksam wie ein Kondom gegen eine HIV-Infektion schützt. Neu ist, dass die Frauen sich nun selbst wirksam gegen HIV schützen können.

Wirksam auch gegen Herpes!
Die Autoren nun noch die Wirkung gegen HSV untersucht. Tenofovir ist ein Abkömmling von HPMPA, einer Substanz aus der Antivirale Mittel gegen HSV und auch CMV entwickelt wurden. Da topisch applizierter Tenofovir im Genitalsekret in sehr hoher Konzentrationen vorliegt, ist es durchaus auch möglich, dass diese hohen Konzentrationen auch gegen Herpes Genitalis schützen können.

Und in der Tat: es wurden in der Subanalyse die 434 Frauen mit negativer HSV-2 Serologie eingeschlossen und auf HSV-2 Serokonversion untersucht. Und hier zeigte sich eine noch fast deutlichere Wirksamkeit (51% Schutzrate). Die HSV-2 Inzidenz betrug in der Placebo-Gruppe 20 Infektionen pro 100 Frauenjahre verlgichen mit 9.9 in der Tenofovir-Gel gruppe (p=0.003). Diese deutliche Wirksamkeit ist fast noch mehr, als dass wir erwartet hätten. Das VM kann also durchaus in bezug auf die Prävention der wichtigsten viralen Infektionen mit einem Kondom verglichen werden.

Klicken auf Bild zum Vergrössern Bestätigung: Richtig angewendet – guter Schutz
Ob VM nützen, hängt weitgehend auch davon ab, wie sie angewendet wird. Doch das ist nicht neu, das kenne wir für Kondome schon zu genüge. Die Caprisa-Studie wurde noch von einer eindrücklichen pharmakologischen Auswertung durch Angela Kashuba unterstützt. Kashubas Team in Chapel Hill hat die Tenofovir-Konzentrationen im Zervikovaginalsekret untersucht und mit der HIV- und sogar der HSV-Infektionsrate korreliert. Leider wurden nur recht spärlich Daten ausgewertet, doch es werden noch mehr dazu kommen. Die Messung der Tenofovir Konzentration kann man als Mass dafür ansehen, inwieweit die Prävention überhaupt angewendet wurde. Obwohl ein Nachweis an einem Tag noch nicht heisst, dass das VM an einem anderen Tag dann auch angwendet wurde. Aber immerhin gibt es einen allgemeinen Hinweis. Und die Daten waren eindrücklich:

Klicken auf Bild zum Vergrössern Die Frauen, die eine hohe Tenofovir-Konzentration im Cervikalsekret aufwiesen hatten auch eine geringe HIV Inzidenz (Abb. rechts, klick für Vergrösserung). Je tiefer die Konzentratoin (x-achse) desto höher lag der Anteil von Infzierten Frauen. Frauen, welche bei der zufälligen Messung kein quantifizierbares resp. nachweisbares Tenofovir im Cervikalsekret hatten, waren in 75-84% HIV-positiv. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass dies nicht einer durchschnittlichen Infektionsrate entspricht. Die Autoren haben für ihre Messungen bewusst eine Auswahl von 50 infizierten und 40 nicht infizierten Frauen gewählt.

Resultate für Herpesprävention ebenfalls eindrücklich
Interessant auch die Tatsache, dass die zuvor gemachten Beobachtungen mit noch deutlicheren Schutzrate für Herpes auch durch diese Pharmakologische Überprüfung der Daten bestätigt wurde. Bei den Frauen, die mehr als 1000 ng/ml Tenofovir im Cervicalsekret aufwiesen (entspricht einer 1:1000 Verdünnung des ursprünglich applizierten Gels) fand sich nur bei zwei von 34 (6%) eine HSV-2 Infektion, bei den Frauen mit tieferer Tenofovir-Konzentratoin entsprechend 24%.

Wirkkonzentration ist alles
Diese Daten zeigen eindrücklich, dass die hohe Konzentration in der Tenofovir bei topischer Anwendung vorliegt, tatsächlich hochwirksam sein dürfte. Auch haben die Autoren gezeigt, dass sich trotz hohen lokalen Medi-Spiegeln praktisch kein Tenofovir im Blut nachweisen lässt. Entsprechend fand man auch keine Resistenzbildung bei den Frauen, die infiziert wurden. Ein gewichtiger Vorteil gegenüber einer Prä-Expositionsprophylaxe.

Siehe: Webcast der ganzen Session TU SS 05