Die Welt-AIDS Konferenz in Gefahr: Der interdisziplinäre Austausch schwindet
Ein erneuter Mega-Kongress hat in Wien erneut etwa 25’000 Besucher angelockt. Erneut wurden Teilnehmer angesprochen aus Grundlagenwissenschaft, Klinischer Forschung, Epidemiologie, Präventions- und Politischen Wissenschaften. Und für den Kongress typisch auch die Teilnahnme der Community, von selbst von HIV Betroffenen Menschen, ganz nach dem GIPA-Prinzip. Doch der Kongress hat sich in diesen vielen Jahren gewandelt, nicht nur immer zum Guten, meinen wir..
Bewegte Geschichte der Welt-AIDS Konferenz
Der erste AIDS Kongress fand 1985 noch ohne viel Publikum in Atlanta, dem SItz des CDC statt. Ein Jahr später in Paris, gefolgt von Washington, dann Stockholm, Montreal und San Francisco. Doch seither wegen der US-Einreisesperre für HIV-Positive nie mehr in den USA (mehr zur Geschichte auf Wikipedia). Mit der Aufhebung dieser Beschränkung, ist der Weg nun für 2012 offen für einen Kongress in Washington DC.
Policy and Science – Synergien nutzen
Die ersten Jahre der AIDS Epidemie waren gezeichnet von einem engagierten Kampf gegen die Diskriminierung von homosexuellen Menschen, Drogensüchtigen und Sexworkers. Es war kein Zufall, dass der Kongress in San Franzisco gleichzeitig mit der Streetparade abgehalten wurde. Der Kampf hat sich gelohnt. Für keine andere Krankheit konnte in so kurzer Zeit eine Therapie aufgebaut werden, die jetzt eigentlich ein "normales" Leben erlaubt. Ein Leben zwar mit (noch) täglicher Tabletteneinnahme, doch immerhin mit praktisch normaler Lebenserwartung, normaler Sexualität, Familienplanung und Arbeitsmöglichkeiten.
Für Prävention viel gelernt
Wir haben gerade aus der interdisziplinaren Arbeit und dem Engagement durch von HIV betroffenen Mensch in frühen Jahren viel gelernt, insbesondere die Erkenntnis, dass Solidarität mit betroffenen Gruppen eine Voraussetzung für eine gute Prävention ist. Erst wenn eine HIV-positive Person sicher sein kann, dass sie keinerleid Diskriminierungen zu befürchten hat, wird sie offen mit ihrer Krankheit umgehen können. Dies erleichtert Prävention, den Zugang zum HIV-Test und zur Therapie.
Harm Reduction in Osteuropa zentrales Thema der Konferenz
Unsere Erfolge der HIV-Prävention werden aber überschattet von der sich rapide ausbreitenden HIV-Epidemie in Osteurope, insbesondere Russland. Doch leider foutieren sich die Russischen Gesundheitsbehörden um die Erkenntnisse und Erfolge der Schadensminderungsprogramme im Westen. Deshalb wollte die Internationale AIDS Society (IAS) den Kongress in Russland durchführen. Doch weil sich keine Stadt für 25’000 Kongressteilnehmer in Russland finden liess, ist Wien eingesprungen. Die IAS hat geplant, einen Drittel ihrer Aufwendungen dem Thema Harm-Reduction in den Oststaaten zu widmen. Der Fokus Russland war gut geplant. Viele Sessions wurden simultan übersetzt, alle Schilder waren in Englisch und Russisch. Ein engagierter Kampf für die Sache, ähnlich dem Kampf gegen die Diskriminierung in den ersten Jahren der AIDS Epidemie.
Nicht viel vom Engagement sichtbar
Doch die Energie ist verpufft. Die Russische Regierung habe, so wurde uns von gut unterrichteten Kreisen erzählt, ihren Offiziellen per Brief empfohlen, den Kongress nicht zu besuchen. Im Klartext heisst dies: Verboten!. Eine klare Absage also gegen die erfolgreichen Strategien der Harm-Reduction, gegen Spritzenabgabe und Methadon, gegen kooperation mit Drogensüchtigen, gegen Solidarität mit Betroffenen. Von den Russen war insgesamt wenig zu sehen. Wenig Diskussion, Dampf abgelassen ohne Wirkung. Wenigstens hat die IAS während dem Kongress dann doch ein klares Statement verfasst: Russland verstosse mit seiner Ablehnung von gut etablierten Methoden nicht nur gegen die Prinzipien der Evidenzbasierten Medizin, sondern auch gegen die Menschenrechte (Statement vom 22.7.10 als pdf).
Vienna declaration – ein Hoffnungsschimmer
Ein Lichtblick ist die in Wien lancierte Wiener Deklaration, the Vienna Declaration. Bis um 25.7. wurde sie bereits 13’700 mal unterzeichnet. Die Deklaration will festhalten, dass es keine Frage mehr ist, dass die HIV Epidemie gestoppt werden kann durch Therapie, Abgabe von sterilem Injektionsmaterial und Substitutionsprogramme für Drogensüchtige und optimierte Betreuung von Süchtigen:
- Thanks to a critical mass of scientific evidence we know with certainty we can halt the spread of HIV in this population simply through providing HIV treatment, clean needles and evidence-based addiction treatments like opioid substitution therapy, supervised injection sites and medicalized heroin.
Interdisziplinarität schwindet
Mir scheint 13’700 Unterschriften sind kläglich, wenn man bedenkt, dass fast doppelt so viele an der Konferenz teilgenommen haben und noch viele Abwesende das Statement unterzeichnen könnten. Doch leider hat auch die Interdisziplinarität am Kongress gelitten. Aus den früheren engagierten Diskussionsbeiträgen bei wissenschaftlichen Beiträgen ist nichts mehr übrig geblieben. Dafür veranstalten Betroffene im global village eine Eigenwelt für sich, wo viel ausgetauscht und getanzt wurde und Theatervorführungen inklusive einer Modeschau von Brasilianischen Sexworkern Abwechslung bieten. Aber ist das interdisziplinär? Es ist auch kein Wunder, dass zunehmend Kliniker gar nicht mehr dem HIV-Kongress fernbleiben.
Noch nie hatte ich es so einfach, ein Programm zusammen zu stellen. Die wirklich interessanten Beiträge waren so spärlich, dass man sich kaum je zwischen zwei Parallelvorträgen entscheiden musste. Überhaupt waren Originalbeiträge, also Vorstellungen von wissenschaftlichen Beiträgen sehr spärlich.
Wenn es diesem Kongress in Washington 2012 nicht gelingt, wieder eine wachsende Zahl von Klinikern zu mobilisieren, so wird über kurz oder lang auch das Interesse der Pharmaindustrie abflauen und das Geld für Zirkus und Stelldichein ebenfalls fehlen. Schade, denn die politischen Anliegen sind noch immer gross. Die Diskriminierungen – auch in der Schweiz – noch weiterhin an der Tagesordnung und die Rechtsprechung im Bereich HIV-Übertragung gefährdet nach wie vor unsere Präventionsbestrebungen in der Schweiz (vgl. dazu das Poster von Ruggia und Pärli der Eidg. Kommission für AIDS-Fragen).
Und zum Schluss noch die Zahlen
Wer sich nun noch für die Zahlen interessiert: gut 19000 registrierte Teilnehmer waren in Wien. Alle weiteren Zahlen finden sich auf der Seite der Organisatoren: