Zahneingriffe als Risikofaktor für Protheseninfekte? Ein langer Streit…

Bei einem Zahneingriff gelangen immer Bakterien in die Blutbahn. Sind Prothesenträger hier gefährdet, eine Prothesen-Infektion zu erleiden? Verhindert eine Antibiotika-Prophylaxe solche schweren Konsequenzen?

Bis anhin wurde Patienten mit Gelenkspropthesen für Zahneingriffe keine Antibiotika-Prophylaxe empfohlen. Doch seit Ende 2009 empfielt die Amerikanische Gesellschaft der Orthopäden neuerdings eine solche Massnahme. Die folgende prospektive Studie dürfte bei dieser Neuorientierung entscheidend gewesen sein.

Worum es geht
Protheseninfekte sind insgesamt seltene Ereignisse. Sie werden bei Hüftprothesen in 0.3-1% gesehen, bei Knieprothesen in 1-2%. Die meisten Infektionen erfolgen bei der Operation selbst, wenn Hautkeime in das Operationsgebiet gelangen. Doch ca. 40% der Prothesen werden über die Blutbahn (hämatogen) erworben, wobei die häufigsten Ursachen die Staph aureus-Sepsis, Hautinfekte oder die Urosepsis sind.  Seit Jahren wird kontrovers disskutiert, ob transiente Bakteriämien, wie zB. nach Zahneingriffen ursächlich für TP-Infekte sind. Dafür fand sich jedoch bisher keine klare Evidenz. Insgesamt sind nur gerade 10% der bei Protheseninfekten isolierten Erreger durch Keime der Mundflora verursacht. Daher erstaut es, dass die Gesellschaft der Amerikanischen Orthopäden Ende 2009 ein Statement veröffentlichte, in welchem nun allen Patienten mit einer Gelenksprothese bei jeglichen Zahneingriffen eine Antibiotika-Prophylaxe empfohlen wird. Die hier beschriebene prospektive Fall-Kontroll-Studie bringt neue Daten zur Indikation einer solchen Prophylaxe.

Was wurde untersucht
Die Studie vergleicht während 2 Jahren die Zahneingriffe (low oder high risk) von 339 Patienten mit einer Infektion einer Hüft- oder Knieprothese mit einer gleichen Zahl Patienten ohne Infektion, welche aus anderen Gründen orthopädisch hospitalisiert waren aber eine entsprechende Prothese hatten.

In 10% der erfassten Infektionen fand sich Mundflora als Erreger. Die Infektrate war nicht unterschiedlich bei Patienten ohne oder solchen mit low- oder high-risk Zahneingriffen. Auch der Vergleich mit und ohne Antibiotika-Prophylaxe bei den jeweiligen Eingriffen zeigte keine Risikodreduktion durch die Massnahme.

Gute Dentalhygiene dürfte sogar noch schützend sein
Insgesamt fand sich bei den wenigen Patienten (n=35) mit Infektion durch Keime der Mundflora sogar eher ein Trend in die entgegengesetzte Richtung: Patienten mit häufigerer Dentalhygiene und damit besserem Zahnstatus hatten tendenziell weniger solche Infektionen. Dies deckt sich auch mit früheren Studien, wobei v.a. die Keimdichte und die Dauer der Bakteriämie ausschlaggebend sind für eine Protheseninfektion. Gerade diese Faktoren sind bei einer Sepsis deutlich höher respektive länger als bei einer Manipulationen im Mund (zB Zähneputzen, zahnärztliche Eingriffe).

Der Nutzen der Antibiotika-Prophylaxe ist zu gering
Im Editorial wird die „number needed to treat“ (NNT) auf 1250 geschätzt. Man müsste also 1250 Patienten mit Prothese bei einem Zahneingriff ein Antibiotikum verabreichen, um einen einzigen Protheseninfekt zu verhindern. Die Autoren schliessen daraus (wir meinen zu Recht), dass eine Antibiotika-Prophylaxe vor einem Zahneingriff bei Prothesenträgern NICHT gerechtfertigt sei. Dies in Übereinstimmung mit früheren Studien.

Die schweizerische Gesellschaft für Infektiologie empfielt (s. Guideline):

  • Zahnsanierung vor Protheseneinbau, regelmässige Zahnhygiene
  • prompte Antibiotika-Therapie bei Infekten (Dekubitus und Harnwegsinfekt suchen!)
  • Blasenkatheter und vaskuläre Katheter raschmöglichst entfernen
  • Wahleingriffe mit erhöhtem Bakteriämierisiko (zB Prostata-Resektion oder Tonsillektomie) auf > 1 Jahr  nach Prothesen-Einbau verschieben
  • ansonsten übliche perioperative Prophylaxe

 

Quelle: Berbari et al, CID 2010:50