Risikoangaben bei anonymen HIV-Testungen: hilfreich für Einschätzung der landesweiten HIV-Prävalenz?

Hatten Daten, die bei anonymen HIV-Test in der Schweiz von 1996 bis 2006 erhoben wurden, die sich verändernde HIV-Epidemiologie gespiegelt?

In der Schweiz ist die HIV-Epidemie in den Risikogruppen zu finden. Von 2001 bis 2006 hatte sich dabei ein Zuwachs der frisch (unter 6 Monaten) erworbenen Neuinfektionen unter Homosexuellen (MSM) von 19 auf 38% gezeigt. Dies kam überraschend, hatten doch Daten zur Surveillance während der 90er Jahre zumeist einen rückläufigen Trend gezeigt.

Hatten Daten, die im Rahmen der anonymen HIV-Testungen erhoben wurden, darauf einen Hinweis gegeben?  Hatte sich dabei eine Erhöhung positiver Tests und/oder eine Zunahme des Risikoverhaltens gezeigt?

In der vorliegenden Studie des Instituts für Sozial- und Präventivmedizin Bern wurden die über 140.000 anonymen Testungen berücksichtigt, die von 1996 bis 2006 an den 5 Universitätskliniken der Schweiz erhoben worden waren.
Anbei die bei der Selbstangabe erhobenen Auskünfte (die bei der Testung ermittelte HIV-Prävalenz jeweils in Klammern):
– 93% gaben heterosexuelle Kontakte an (Männer: 0,2%, Frauen 0,3%)
– 7%  bezeichneten sich als homosexuell (1,6%)
– 77% waren Schweizer Nationalität (0,2%), stammten sonst aus Europa (0,35%), 3% waren amerikanischer
     (1%), 2% afrikanischer (3,7%) bzw. 1% asiatischer (1%) Herkunft

 
Über den genannten Zeitraum zeigte sich eine Zunahme der HIV-Prävalenz bei afrikanischen Heterosexuellen beiderlei Geschlechts.

Bei MSM konnte keine Zunahme der HIV-Prävalenz über den genannten Zeitraum gezeigt werden (Anmerkung: wären denn die Daten auch repräsentativ genug gewesen, um das darzustellen?). Es konnte eine erhöhte HIV- Prävalenz bei Alter zwischen 35 und 44 Jahren herausgearbeitet werden.

Was aber besonders auffiel:

Tatsächlich zeigten über die Beobachtungszeit zunehmend viele homosexuelle Männer ein Risikoverhalten:
– fast die Hälte gab mehr als 5 Geschlechtspartner in den vorhergehenden 2 Jahren an
– 12% berichteten über Geschlechtsverkehr mit einem HIV-positiven Partner

Überraschend zeigte sich, dass bei den Männern mit 0-1 Partner in den letzten 2 Jahren die HIV-Prävalenz höher war als bei > 5 Partnern. Hier wurde gemutmasst: handelt es sich um Patienten, bei denen der Gesundheitszustand bereits zu einer Veränderung des Sexualverhaltens geführt hatte? oder resultierte vielmehr das Risiko aus promiskem Verhalten des festen Partners?

Bei den heterosexuellen Frauen zeigte sich erhöhte HIV-Prävalenz bei den >45 Jährigen, dabei zumeist Schweizer Nationalität. Diese berichteten über Partnerschaft mit einem HIV-positiven Mann, wussten um ihr Risiko, hatten aber dennoch mit ihrem Partner nie Kondome benutzt.

Einschränkungen der Repräsentativität der erhobenen Daten:
– Patienten mit hohem Risikoverhalten werden gehäuft anderswo getestet
– die Klientel der anonymen Testzentren divergiert von denen, die in der allgem. Schweizer Bevölkerung einen
   HIV- Test durchführen lassen (Details: siehe Quellpublikation); mehrfache Erfassungen (bei mehrfachen Test) 
   sind möglich 
– die anonymen Testzentren haben einen weiteren Bias durch die anfallenden Testkosten

Zusammenfassung:

– bis auf Daten bei Heterosexuellen afrikanischer Herkunft zeigte sich keine Zunahme der positiven HIV-Testresultate; aber:
– bei MSM zeigte sich im Beobachtungszeitraum signifikant steigendes Risikoverhalten 
    -> die erhobenen Daten könnten durchaus ein gewisser "Seismograph" für geändertes Sexualverhalten sein
         (und damit u.U. auch Hinweise auf Präventationsansätze liefern….) 

Quelle: Prasad LR et al, Swiss Med. Weekly, 2009