HIV und Schwangerschaft: was empfehlen Experten

Was ist 2010 „State of the Art“ bei der Auswahl der HAART bei Schwangeren, was gilt bezüglich peri- und postpartaler Strategien zur Reduktion des Übertragungsrisikos?

In Schlangenbad präsentierten Prof. Jane Anderson, London, Dr. K. Boer, Amsterdam (Gyn.), und Prof. Ch. Rudin, Basel (Päd.) dazu ihre Daten, ergänzt durch pharmakologische Einschätzungen (PD N. von Hentig, Frankfurt).

Zur HAART in der Schwangerschaft:

bei Erststart würde J. Anderson bei einer CD4-Zellzahl unter 250/ul Combivir (AZT/3TC) und Viramune (Nevirapin) empfehlen, über CD4 250/ul Combivir und geboostete Invirase (Saquinavir/riton.), oder Kaletra (Lopinavir/riton.). Nach Beendigung der Schwangerschaft würde sie dann ggf. auf „moderne“ Kombinationen umstellen (gemeint ist ggf. Ersatz von Combivir durch Truvada oder Kivexa, ggf. Ersatz von Invirase…). Therapiestart nach dem 1. Trimenon.
Bei Eintreten einer Schwangerschaft unter gut laufender HAART gelte für sie: Belassen der Medikation.
Sie würde sogar Stocrin (Efavirenz) belassen (für das die neueren Daten „immer positiver“ bei Einsatz in der Schwangerschaft würden).
Auch Viread (Tenofovir) würde sie nicht umstellen (wobei aber Dr. Boer „noch nicht zufrieden“ sei bezüglich Einschätzung eines möglichen  Einflusses auf den kindlichen Knochen).
Wirklich problematisch in der Schwangerschaft sei lediglich Videx (Didanosin).
(Anmerkung der Kommentatorin: Zerit (Stavudin) wurde nicht eigens erwähnt, aber ist in der Schwangerschaft heikel (Risiko Laktazidose)).

Ergänzungen durch den Pharmakologen (v. Hentig):

  • über neue Substanzen (Prezista (Darunavir), Intelence (Etravirin)) gebe es bislang nur Einzelfallberichte über Einsätze in der Schwangerschaft, bezüglich Celsentri (Maraviroc)  und Isentress (Raltegravir) keine Daten.
  • Bei Einsatz von Proteasehemmern sei eine Spiegelkontrolle nur bei Verdacht auf Toxizität erforderlich; Ausnahme sei Gabe von ungeboostetem Reyataz (Atazanavir).
  • bei Gabe von Viramune (Nevirapin) seien Spiegelkontrollen sehr wichtig, insbesondere bei Gewichtszunahme.

Unverändert sei das Ziel einer nicht nachweisbarer Viruslast vor dem Entbindungstermin. Eventuell früher Start der ART (= früh im 2. Trimenon) bei hoher Viruslast oder geplanter vaginaler Geburt.

Sectio versus vaginale Geburt:
Bei komplett supprimierter Viruslast und ohne das Vorliegen geburtshilflicher Risikofaktoren könne die vaginale Geburt sogar mittlerweile als „Regelfall“ angesehen werden (Chr. Rudin), was sich aber offenbar in unterschiedlichem Ausmass bislang durchgesetzt hat.

 Gabe von AZT unter der Geburt, zusätzlich zu einer voll supprimierenden HAART:
Dies hält der Pädiater (Chr. Rudin) für nicht erforderlich; in Holland (K. Boer) werde dies allerdings regelhaft gegeben (Argumente u.a.: gute Placentapassage).

Gabe von AZT an das Kind, nach der Geburt:
Das „Dogma“ der AZT-Gabe an das Kind (bei nicht behandelter Schwangerer bis zu 6 Wochen) scheint gefallen: nach Angaben von Prof. Rudin könne bei unauffälligem Verlauf unter voll supprimierter Viruslast darauf verzichtet werden; bislang sei dies aber schwierig durchzusetzen.

Was gilt bezüglich Stillen?
J. Anderson:
Unter den Voraussetzungen, dass die Beschaffung von Milchersatz kein Problem darstelle, sei das Abstillen die bessere Variante (Argument insbesondere: das Kind werde so nicht zusätzlich exponiert bezüglich HAART, mit unterschiedlicher Anreicherung einzelner Medikamente in der Muttermilch).

Für Länder mit erschwerter Versorgung mit Milchersatz, oder in besonderen Fällen mit „Notwendigkeit“ des Stillens (aus verschiedenen Gründen wie Diskriminierung/ Ausgrenzung u.a.) müssten diese „Sondergründe“ ausgewogen werden gegenüber einem Übertragungs-Restrisiko und der Medikamentenexposition des Kindes durch die Muttermilch.

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Zusätzliche Anmerkung: in Holland wurden von 2004 bis 2007 drei HIV-positive Kinder geboren, weil die Mütter sich nach erstem negativen HIV-Test in der Schwangerschaft/ Stillzeit frisch infiziert hatten! Fazit: der Partner sollte (ebenfalls) getestet werden!!