Einkaufsliste für diagnostisches Rezept (Infektdiagnostik richtig dosieren)

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Prof. Dr. Pietro Vernazza , Kantonsspital St. Gallen / 25. Februar 2010*deutsch

Die Vortragsreihe am heutigen 15. St. Galler Infekttag wurde von Prof. P. Vernazza eröffnet und dabei wurde gleich zu Beginn an mit der „grossen Kelle“ angerührt: Stichworte wie „Paradigmawechsel“ oder „Kunstfehler“ hallten im Hörsaal und ein leises Raunen im Publikum konnte (auch trotz eines von Franz Hohler später zitierten Tinnitus) nicht überhört werden. Beide Begriffe wurden in Zusammenhang mit der HIV-Infektion bzw. der Diagnostik derselben genannt. Um es vorweg zu nehmen: Der Vortrag war schmackhaft, leicht verdaulich und nahrhaft zugleich!

Der Titel des Vortrages lautete: „Das Kreuzchen am rechten Ort zur rechten Zeit: Infektdiagnostik richtig dosieren“.

Dabei ging es im Wesentlichen um:  1. die Kunst „der richtigen Spur“ zu folgen, 2. die Kunst das „richtige timing“ zu finden, und 3. die Kunst, dann auch „das Richtige zu tun“. Alles Künste, die -passend zum Motto des diesjährigen Infekttages- sowohl in der Diagnostik von Infektionskrankheiten, aber auch in der Küche oder im (Lauf-) Sport über Genuss bzw. Erfolg entscheiden können.

Der Vortrag gliederte sich in zwei Teile: Im ersten Teil wurden vor allem die ersten beiden Künste beschworen, im zweiten Teil die dritte.
 
Erster Teil mit zwei Fallbeispielen aus der Klinik:

Im ersten Fall ging es um einen mittelalterlichen Patienten mit Fieber und Exanthem und (auffallend) unergiebiger Anamnese inklusive Sexualanamnese. Aufgrund des klinischen Bildes wurde trotzdem die Lues mittels eines TPHA-Schnelltestes gesucht und auch gefunden. Der TTPA und der VDRL, welcher der Aktivitätsbeurteilung einer Lues-Infektion dient, fielen in der Folge hoch positiv aus.  Die erweiterte Anamnese ergab dann als Risiko Zungenküsse mit einem anonymen Mann 3 Wochen vor Auftreten der Symptomatik.

Fazit:
Nicht immer ist die Anamnese die „richtige Spur“! Zur Untermauerung wird ergänzt, dass bei einer HIV-Infektion nur in 50% der Fälle die Anamnese zur Diagnose führt.

Im zweiten Fall wurde ein febriler junger Mann mit Halsweh, Belägen am Gaumen und einem Exanthem vorgestellt. Als ergänzende Angabe wurde ein negativer HIV-Schnelltest erwähnt. Als interaktives Element konnte nun aus verschiedenen Diagnostik-Vorschlägen ausgewählt werden: Die Lues-Serologie, ein Streptokokken-Abstrich, die EBV-Serologie, die möglichen Kombinationen der bereits genannten sowie die unscheinbare Auswahlmöglichkeit „andere Diagnostik“. HIV vom Tisch?
Aufgrund der suggestiven Symptomatik wurde die HIV-Infektion in der Differentialdiagnose belassen und in der Folge noch der HIV-Antigen-Test durchgeführt, welcher reaktiv ausfiel (im Gegensatz zum Western blot, der in dieser Phase ebenfalls negativ ausfallen kann). Die Bestimmung der HIV-RNA mittels PCR bestätigte dann endgültig die Diagnose einer HIV-Primoinfektion.

Fazit:
Bei klinischem Verdacht auf eine HIV-Primoinfektion („richtige Spur“) muss diese trotz negativem HIV-(Ak)-Schnelltest, welcher nota bene in dieser Phase der Infektion nicht diagnostisch ist, weiter mit dem geeigneten Test (Ag, PCR) gesucht werden („richtiges timing“).
Erwähnt wurde in diesem Zusammenhang auch ein Vorgehen, welches man auch als „Blockdenken“ beschreiben kann: Denken wir an EBV, CMV usw. so müssen wir immer auch an HIV denken. An dieser Stelle wird auch von Prof. Vernazza prophezeit, dass dieses „Blockdenken“ in naher Zukunft auch von den Labors umgesetzt und angeboten werden wird.
Und nicht vergessen darf man: Im genannten Beispiel hat eigentlich (fast) nur die Erkennung der HIV-Infektion Konsequenzen: 1. für den Patienten, der von einer frühen Behandlung profitieren kann, und 2. auch seine allfälligen zukünftigen Sexualpartner, da ca. 30-50% der Patienten mit einer Primoinfektion sich sexuell an Patienten angesteckt haben, welche ebenfalls an einer Primoinfektion litten.

Die einleitend erwähnte „grossen Kelle“ kommt nun an dieser Stelle zum Einsatz: Der „Paradigmenwechsel“, welcher voraussichtlich am 15. März 2010 auch im BAG Bulletin publiziert werden soll.
Dieser „Paradigmewechsel“ beinhaltet 3 Hauptpunkte, die in der Folge erklärt wurden:

1. Eine unterlassene Diagnostik wird mit einem Kunstfehler verglichen.
2. In klinischen Verdachts-Situationen soll immer ein HIV-Test durchgeführt werden.  In diesem Zusammenhang werden auch klinische Trigger-Situationen genannt:
– STD (GO, C.trach, Lues, Herpes, Condylom, HBV)
– Tuberkulose
– Neurologische Erkrankungen (Demenz, Facialisparese, Mono- /Polyneuropathie, aseptische Meningitis)
– Ungewöhnliches (Zoster < 40J, Mundsoor, seborrhoische Dermatitis, OHL, unklare Exantheme, Analkarzinom, etc)
-Schwangerschaft (hier weist Prof. Vernazza darauf hin, dass aktuell leider immer noch lediglich bei geschätzt 70% der schwangeren Frauen der HIV-Test durchgeführt wird). 
-AIDS-definierende Syndrome (z.B. Lymphom!)

3. Der Patient soll vor Durchführung eines HIV-Test nicht mehr um Erlaubnis gebeten werden müssen, sondern lediglich informiert werden.

 

Im zweiten Teil wurden „Kochrezepte“ für Standardsituationen präsentiert und sollen in der Folge nur in Stichworten erwähnt werden („das Richtige zu tun“):

1. Der Reiserückkehrer mit:
 -Fieber: Malariadiagnostik
 -Durchfall > 7 Tage, Blut, Fieber: Stuhlkulturen
2. Blutkulturen vor AB-Therapie bei High-Risk-Patienten wie künstlichen Herzklappen/Pacer, Gelenksprothesen (bei unklarem Infektfokus), fokal neurologische Zeichen (Embolie!), klinischem Verdacht auf Endokarditis, pulmonale Embolien, periphere Abszesse, vaskuläre / immunologische Phänomene
3. Unnötige Diagnostik
 -DK-Träger
 -Erythema chronicum migrans