H1N1-Influenzawelle in Ukraine – Hype or not?
Gestern hat Promed erstmals über eine „besonders schwere“ Grippewelle mit 10’000 Erkrankten und 30 Todesfällen in der Ukraine berichtet. Heute berichtet die NZZ online von 70’000 Erkrankten und 53 Toten. Was steckt dahinter?
Fact or fiction?
Zunächst einmal kommen natürlich Zweifel: Denn Promed hatte noch berichtet, dass die Diagnose dieses Krankheitsausbruches noch nicht klar war. Die verwendeten Tests, so die Ukrainischen Behörden, würden nur mit 50% Treffsicherheit eine H1N1 Infektion nachweisen. Aber bei mindestens 11 der Todesfälle war als Ursache bereits eindeutig H1N1 identifziert worden. Da wir global einen deutlichen Anstieg der Grippefälle auf der Nordhemisphäre feststellen, zweifeln wir an dieser Interpretation nun zunächst mal nicht.
Politisch gesteuert?
Allerdings muss man solche Daten auch vorsichtig verwenden. Von persönlichen Kontaktpersonen aus der Ukraine haben wir gehört, dass in der Ukraine selbst sehr widersprüchlich berichtet wird. Man vermute auch Politpropaganda hinter den Mitteilungen, denn bald sind Wahlen. Sicher richtig, dass man die Informationen vorsichtig wertet, aber es ist auch möglich, dass in der Ukraine tatsächlich ein grosses Problem vor der Tür steht: Denn es gibt weder genügend Medikamente noch Impfstoff, um die Infektion hier unter Kontrolle zu halten. Ukraine hat daher auch Hilfe vom Ausland angefordert. Am Montag wird eine WHO-Delegation die Sache vor Ort untersuchen, dann werden wir noch mehr Details erfahren.
Tatsache ist, dass heute Nacht 16 Tonnen Tamiflu von Basel nach Kiev geflogen werden (BBC). In Kiev selbst, soll noch kein Fall bestätigt worden sein, in den letzten 2 Tagen hätten aber über 6000 Personen wegen Grippe einen Arzt aufgesucht (Mitteilung Staats-Arzt Ukraine). Aus der Ternopil-Region berichtet eine Ärztin, alle Schulen und Hochschulen, nicht aber Kindergärten seien geschlossen worden.
Besonders gefährliches Virus?
Die Meldungen aus der Ukraine werden als „besonders schwere Erkrankung“ interpretiert. Wir sind damit nicht einverstanden. Wir haben uns immer auf den Standpunkt gestellt, dass eine pandemische Grippe, auch die H1N1 Infektion schwerer verläuft als eine saisonale Grippe. Die aus der Ukraine gemeldeten Todeszahlen entsprechen dem Durchschnitt in anderen Ländern einer jungen Epidemie, wo auch jeweils 0.1-0.4% Todesraten berichtet wurden. Da Todesfälle in der Regel nach längerem kompliziertem Verlauf auftreten, unterschätzt man in der Regel die Todesrate in einer jungen Epidemie.
Dass in der Ukraine nun plötzlich in der Region Lwiw (s. Karte) über 70’000 Erkrankungsfälle aufgetreten sind, ist überhaupt nicht überraschend. Wir haben es im Moment mit einem deutlichen Anstieg von Infektionsraten zu tun. In den USA ist die Erkrankungsrate schon seit Wochen sprunghaft am steigen (s. Bericht) und auch in der Schweiz ist die epidemische Schwelle überschritten. Gemäss Berliner Kurier von heute starben innert 24 Stunden in Deutschland drei und in Italien vier Menschen an H1N1, darunter ein Arzt. Auch in England haben sich die Zahlen innert einer Woche verdoppelt. Die Pandemie ist da. Basta! Da sollte es uns nicht verwundern, dass in einem Land mit begrenzten public health Ressourcen die Grippe eine Region erfasst.
Grippe unterschätzt – mit nichten!
Der Berliner Kurier fragt: Ist die neue Grippe doch nicht so harmlos, wie Ärzte glauben, die von der Impfung bislang abraten? Dem möchten wir entgegenhalten, dass wir die Pandemie noch nie als harmlos eingestuft hatten, auch wenn dies von Medien und Behörden immer wieder genannt wurde. Das was jetzt beobachtet wird, entspricht noch genau dem Verlauf, wie er vor Monaten schon festgestellt wurde: 0.4-0.7% Todesraten weltweit. Wir haben immer wieder betont, dass dies keine Harmlose Zahl ist, auch wenn uns völlig bewusst ist, dass wir aufgrund der heutigen Präventionsmethoden niemals eine Pandemie wie die Spanische Grippe erleben werden. Doch die Tatsache, dass hauptsächlich jüngere Personen zwischen 25-55-Jahren sterben, muss uns schon aufhorchen lassen.
Wir halten daher fest: Die H1N1 pandemische Grippe hat sich bezüglich Schweregrad oder Komplikationsrate nicht verändert. Neu ist, dass die erste richtige Grippewelle Europa erfasst hat. Erst jetzt.
Aufgrund unserer Einschätzung der Pandemie sagen wir klar:
- Eine Frühtherapie ist für alle Erwachsenen empfehlenswert, sie verkürzt die Erkrankung deutlich und verhindert Komplikationen und Todesfälle (s. St. Galler Therapieempfehlung)
- Eine Impfung gegen H1N1 ist die beste Versicherung. Schliesslich versichern wir unsere Häuser auch gegen Brand, auch wenn dies sehr, sehr selten vorkommt. Doch eine Wahrscheinlichkeit eines Todesfalles auf 1:1000 oder auch 1:10’000 sollte doch Anlass genug sein, sicher versichern zu lassen. Und mit Impfen soll man nicht zuwarten: Bis die Impfung ihre Wirkung entfaltet hat, vergehen 10-20 Tage. Da kann man nicht zuwarten, bis die Grippe da ist.