Was wir vom Outbreak der H1N1-Grippe (hoffentlich) werden lernen können
Eine als mild beurteilte Influenza Pandemie hat sich global ausgeweitet. Ein Artikel in Annals of Internal Medecine beleuchtet Facts, die wir für den Umgang mit Pandemien der Zukunft lernen könnten.
Am 18.3. berichtete Mexico City über eine grippeartige Krankheit, am 13.5. wurde die H1N1-Influenza, oder auch Schweinegrippe genannt, bereits verschieden Ländern bestätigt, sodass von einer raschen Mensch-zu-Mensch-übertragung ausgegangen werden musste. Am 11.6.09 hat die WHO die Pandemie (Stufe 6) ausgerufen.
Ein neues Virus für den Menschen
Mikroorganismen, welche die Speziesbarriere überschritten haben, also am Anfang nur unter Tieren zirkulieren und sich irgendwann mit einem humanpathogenen Erreger vereinen, haben in der Menschheitsgeschichte die schwersten Epidemien ausgelöst, wie z.B. die 1918er-Grippe. Zwei Eigentschaften des Influenzavirus zusammen mit der zunehmenden Globalisierung, wo jeder Winkel der Erde innert Stunden per Flugzeug erreicht werden kann, machen dieses Virus zu einer solch schwerwiegenden Zoonose:
- Hohe Fehlerrate bei der Replikation, typisch ist für RNA-Viren
- Möglichkeiten der Mischung von segmentierten Abschnitten des Influenzavirusgenoms verschiedener Virusstämme in einer Zelle. Dies macht dieses Virus rasch veränderbar, flexibel und somit bedrohlich.
Wenn wir in Zukunft die Details der Entstehung des H1N1-Virus kennen, werden wir (hoffentlich) mehr über die Mechanismen wissen, welche das Virus die Speciesbarriere überschreiten lässt.
Mobilität auch für Viren
Flugzeuge bringen die Erreger in alle Regionen der Welt. Bisher wurde angenommen, dass ein Flug mind. 8 Stunden dauern muss und nur die 2 benachbarten Reihen des Indexpatienten betroffen sein sollten. Anders war dies jedoch in der SARS-Epidemie. Dort infizierten sich Personen, die 7 Reihen entfernt sassen vom Indexpatienten. Epidemiologische Details der jetztigen H1N1-Pandemie werden uns (hoffentlich) mehr Verständnis über die in-flight-transmission geben.
Kommunikation als wichtigstes Gegenmittel
Gute internationale Zusammenarbeit, wie das bei SARS der Fall war, haben einen durchgreifenden Effekt auf die Epidemiologie. Das verspätete Informieren Chinas bei SARS (der erste Fall am 16.11.02, was erst im April 2003 durch die WHO untersucht werden konnte) zeigte einen deutlich schlechteren Verlauf in China als beispielsweise in Vietnam, welches die WHO rasch informiert hat und als erstes Land am 28.4.03 als SARS-frei bezeichnet wurde. Bei H1N1 nun mit der proaktiven Information und der Entscheidung Mexikos die Schulen und Geschäfte zu schliessen sowie Quarantänemassnahmen weltweit konnte die Ausbreitung verlangsamt werden.
Wunderwaffe: Social Distancing
Bereits 1918 zeigte sich, dass soziale Isolation Leben retten kann: In St. Louis wurden öffentliche Versammlungen sofort und in Philadelphia erst mit Verspätung verboten. In Philadelphia traten 8.3x mehr Todesfälle auf als in St. Louis. Eine 2007 publizierte Untersuchung der 1918-Pandemie zeigte, dass nichtpharmazeutische Interventionen wie soziale Isolationsmassnahmen die Mortalität um bis zu 50% senken konnten.
Infektiosität inhomogen verteilt
Bisher ging man davon aus, dass alle Individuen Mirkoorganismen gleichermassen verbreiten. Doch es zeigte sich beispielsweise bei SARS, dass man wahrscheinlich eher von der 20/80er Regel ausgehen muss: 20% sogenannter Super-Spreaders verursachen 80% der Übertragungen. Ein Zustand, der auch für die HIV-Epidemie bekannt ist. Einige Forscher vermuten, dass die sog. „Super-Spreaders“ möglicherweise mit anderen Viren Co-infiziert waren und damit auch nicht typische Symptome zeigten. Die Forscher meinen, dass in der jetztigen Pandemie insbesondere auf solche Personen mit atypischer Klinik fokusiert werden sollte – ein Ratschlag der schwierig zu befolgen sein dürfte.
Medizinische Forschung lernt immer dazu
Wir werden also auch bei dieser Pandemie erneut lernen, dass bei einem Outbreak nicht die Pharmazie sondern primär Isolationsmassnahmen helfen. Leben wird gerettet werden durch
- raschen klinischen Verdacht bei Patienten mit Symptomen
- in der Anfangsphase Verdacht bei entsprechendem Tierkontakt
- sofortige soziale Distanzmassnahmen.
Offensichtlich müssen zur wirksamen Vermeidung einer raschen Ausbreitung auch unpopuläre Massnahmen durchgesetzt werden. Dies macht die politische Arbeit im Bereich Public Health nicht einfach.
Quelle: Ann Int Med 2009 Jul 7;151(1):59-62 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19470591