Geh nicht in den Wald!

Sollen Aktivitäten in der freien Natur gestrichen werden?
Über Borrelien und andere Wald- und Wiesenkrankheiten.

Download der Folien (4224KB)

Dr. Barbara Bertisch, Kantonsspital St. Gallen / 26. Februar 2009
*deutsch

Frau Dr. Barbara Bertisch widmete sich am Nachmittag des St. Galler Infekttages dem Mythos „Geh nicht in den Wald“. Am Anfang des Vortrages ging Frau Dr. Bertisch auf Aengste ein, welche früher mit dem Wald verbunden wurden: über Wolf, Fux, Bär, böse Geister, Räuber Hotzenplotz bis zum Rotkäppchen…Das habe ich alles überlebt, aber es gibt da noch andere kleine, lästige Viecher wie z.B. die Zecke, welche sich mit Tricks wie Abgeben eines Betäubungsmittels, Benutzung eines Stachels mit Widerhaken und die Produktion eines Klebstoffeszu behaupten versucht. Es existieren zahlreiche Mythen um die Zecke wie „Kommen nur im Frühsommer vor“, „Lassen sich von Bäumen fallen“, „Zecken beissen“, „Risiko nur für Waldarbeiter“, „Richtige Kleidung schützt ausreichend“ und „Zeckenentfernung mit Oel“. Getreu dem Moto der Veranstaltung machte sich Frau Dr. Bertisch daran, mit den Mythen aufzuräumen. So beginnt die Zeckenzeit bereits im Frühjahr ab ca 6° Celcius (erschreckt meint mein Nachbar: heute hat es 7° Celcius und ich bin ein Stück durch den Wald gelaufen…armer Mann) und hält bis in den November an, wobei die Zecken Feuchtigkeit und Wärme lieben und auch längere Trockenzeiten überleben können. Nicht von oben kommt die Gefahr, sondern von unten und von der Seite, denn Zecken leben am Boden, im hohen Gras oder in Gebüsch und im Unterholz und dies besonders am Waldrand und an Lichtungen, so dass sie uns Menschen schon von Weitem erspüren und dann kreisende Bewegungen der Vorderbeine durchführen, um sich dann am Opfer festzukrallen, wobei es sich hier nicht unbedingt um Waldarbeiter handeln muss, sondern die Zecken packen sich auch andere Individuen und uebertragen nebenbei  z.B die FSME, wobei das Ansteckungsrisiko in der Schweiz für Spaziergänger (36%) am höchsten ist, gefolgt von beruflich exponierten Personen wie Förster, Waldarbeiter und Landwirte (20%), Wanderern (11%), Joggern und Orientierungsläufern (10%), Zeltlern (6%) und Pilzsammlern (4%). Da ich ja ein (zumindest auf den ersten paar 100 Metern) ein schneller Jogger bin, dürfte mein Risiko ein wenig niedriger liegen. Einmal am Opfer festgekrallt, reisst die Zecke mit dem scherenartigem Mundwerkzeug die Haut auf, sticht mit dem Stachel zu, so dass eine Grube entsteht, welche mit Blut volläuft, welche dann vom Tier leergesaugt wird. Schützen können wir uns mit langen Aermeln, langen Hosenbeinen, Hosenbein in Schuhe und Stiefel und einer glatten, hellen Kleidung., aber auch mit Zeckenschutzmittel mit DEET (N,N-Diethyl-m-Toluamide) oder EBAAP (Ethyl-Butylacetylaminopropionat) lässt sich die Zecke in 40% der Fälle wahrscheinlich aufgrund des komplizierten Namens abwehren, wobei als Alternative auch ein Imprägnieren der Kleider mit Permethrin in Frage kommt, jedoch bieten sowohl die Kleider als auch die Repellentien keinen 100%igen Schutz, so dass man zusätzlich das Unterholz meiden sollte, in der Mitte des Weges laufen sollte und sich auch gelegentlich absuchen sollte. Ist das Malheur trotzdem passiert, so muss man die Zecke gerade herausziehen und verbleibende Zeckenteile belassen, da diese mit der Zeit von selbst herausfallen werden und die Stelle gründlich desinfizieren und eben nicht mit Oel entfernen, da es durch Erstickung der Zecken zu einer möglichen Absonderung von Erregern kommen kann.

 

Bei den Borrelien gibt es bedingt durch variable Oberflächenproteine mehrere Unterarten, so dass es der Unterart entsprechend in den USA und in Europa ein zum Teil anderes Krankheitsbild gibt. 5-55% der Zecken in der Schweiz sind infiziert und es treten ca. 3000 neue Fälle von einer Borreliose pro Jahr in der Schweiz auf und 4-6% (-35%) der Bevölkerung sind serologisch positiv. Wichtig zu erwähnen ist, dass es keine Immunität und auch keine Impfung gibt. Betreffend der Serologie gilt festzuhalten, dass sie nur zur Unterstützung der klinischen Diagnose dient, nicht zur klinischen Verlaufskontrolle und eine positive Serologie ohne klinische Manifestation stellt keine Therapieindikation dar. Als erstes wird bei der Serologie eine Antikörperbestimmung als Suchtest durchgeführt, welche jedoch auch einmal falsch positiv (z.B. HIV) sein kann oder es kann zu einer Kreuzreaktion kommen (Lues). Gegebenenfalls wird noch ein Western blot durchgeführt, jedoch wird die PCR nur sehr restriktiv eingesetzt. Wie im Studium schon gelernt, lässt sich die Klinik in 3 Stadien einteilen: 1. Frühes lokalisiertes 2. Frühes disseminiertes und 3. Spätes oder chronisches Stadium. Im Stadium I kommt es zuerst zu einer akuten lokalen Reaktion nach dem Zeckenstich, welche innerhalb von Stunden bis zu 2 Tagen auftritt, selten grösser als 1cm wird und sich nicht ausdehnt. Dann entwickelt sich im Stadium I nach ca. 3-32 Tagen das allseits bekannte Erythema migrans aus, welches sich anulär ausbreitet. Es kann dabei häufiger in den USA als in Europa zu grippeähnlichen Symptomen kommen. Das Erythem bildet sich ohne Antibiotika spontan über Wochen bis Monate zurück, was mit Antibiotika nur wenige Tage dauert. Im Stadium I handelt es sich um eine klinische Diagnose und die Serologie ist häufig noch negativ. Das Stadium II ist charakterisiert durch das seltene benigne Lymphozytom, welches meist in den ersten beiden Monaten nach dem Stich auftritt und bei Kindern v.a. am Ohrläppchen zu finden ist, beim Erwachsenen eher im Bereich der Mamillen, des Skrotums, der Nase und der Oberarme. Hier ist eine Serologie indiziert und sie erreicht eine Sensivität von rund 80%. Ebenso kann im Stadium II eine Karditis auftreten, welche jedoch eher selten ist, nach 4 Tagen bis zu 7 Monaten nach dem Zeckenstich auftritt und häufig mit Schwindel, Palpitationen, Synkopen, Dyspnoe sowie Blockbildern einhergeht. Hier stellt man die Diagnose anhand der typischen Klinik und zusätzlich ist eine Serologie indiziert, welche eine Sensitivität von 80% erreicht. Auch kommt es im Stadium II innerhalb von Wochen bis Monaten zur frühen Neuroborreliose mit Meningitis, Radikulitis und Hirnnervenausfällen. An der Meningitis erkranken häufiger Kinder und das Kardinalsymptom besteht aus fluktuierenden Kopfschmerzen. Die Radikulitis, welche aus radikulären Schmerzen und ev. asymmetrischen motorischen und sensorischen Ausfällen besteht, heilt ohne Therapie nach 5-6 Monaten wieder ab. Bei den Hirnnervenausfällen ist am häufigsten der N. facialis mit einer peripheren Parese betroffen und die Rückbildung kann 1-2 Monate dauern und anhaltende Ausfälle treten bei 5-20% der Erwachsenen auf. Die klassische Trias Meningitis, Radikulitis und Hirnnervenausfälle (M. Bannwarth) zeigen nur etwa 15% der Betroffenen. Im Stadium III tritt  dann die chronische Neuroborreliose auf, die beim korrekt behandelten Patienten praktisch nie und beim unbehandelten Patienten nur selten auftritt. Der Unterschied zur frühen Neuroborreliose besteht darin, dass die Veränderungen nicht mehr selbstlimitierend sind. Die chronische Neuroborreliose ist charakterisiert durch eine spastische Paraparese, Hirnnervenausfälle, eine Blasendysfunktion, kognitive Defizite, radikuläre Schmerzen, distale Parästhesien sowie ein verzögertes Therapieansprechen. In der Diagnosestellung der Neuroborreliose ist die Serologie indiziert. Sie ist im Stadium II zu 80% und im Stadium III zu 99% positiv, wobei sie in den ersten 2 Monaten negativ sein kann. Im Liquor zeigt sich eine lymphozytäre Pleozytose mit < 1000/ul, ein erhöhtes Protein und die Glucose kann normal oder leicht erniedrigt sein. Im Stadium II kann es auch zu rheumatologischen Beschwerden kommen mit einem initialen Befall von kleinen Gelenken und einem späteren Befall von grossen Gelenken. Eine Gelenksdestruktion ist eher selten und die Symptomatik ist in Schüben regredient. Die chronische Lyme-Arthritis im Stadium III ist in den USA mit 50-60% der Patienten mit unbehandelter Borreliose deutlich häifiger als in Europa. Hier ist eine positive Serologie mit einer Sensitivität von 80-90% eine Voraussetzung in der Diagnosestellung. Bei chronischen Beschwerden kommt auch die PCR zum Einsatz. Die Acrodermatitis chronica atrophicans im Stadium III entwickelt sich nach 6 Monaten bis 8 Jahren nach einem Zeckenstich. Hier sind meist die Streckseiten der akralen Extremitäten betroffen und der Verlauf ist biphasisch mit einer frühen entzündlichen Phase und einem späten atrophischem Stadium mit der „Pergamenthaut“. Ebenso ist hier die Serologie im Rahmen der Diagnosenstellung indiziert (Sensitivität 90%) und ggf kommt die PCR (Sensitivität 70-80%) zum Einsatz. Die Therapie der Wahl ist Doxyxyclin (alternativ: Amoxicillin) beim Erythema migrans (Dauer 10d), bei der Acrodermatitis chronica atrophicans (Dauer 21-28d) und der Arthritis (Dauer 30-60d). Das Rocephin kommt bei der Karditis mit AV-Block III und bei der Neuroborreliose zum Einsatz (Dauer: 28d).

 

Bezüglich Postexpositionsprophylaxe zitierte Frau Dr. Bertisch eine Studie von Nadelmann aus dem Jahr 2001 (N Engl J Med), wo man fast 500 Leuten innerhalb 3 Tagen nach einem Zeckenstich eine Einmaldosis Doxy 200mg verabreichte, so dass man 7 Fälle verhindern konnte, jedoch auf Kosten von einer hohen Nebenwirkungsrate mit 30%. Einen Impfstoff gegen B. burgdorferi sensu stricto war in den USA von 1998 bis 2002 zugelassen, wurde jedoch aufgrund einer „mangelnden Wirtschaftlichkeit“ vom Markt genommen und in Europa gibt es zusätzlich Borrelia garinii und –afzelli. Ein Borrelienimpfstoff ist frühestens in 5 Jahren zu erwarten.

 

0,5-3% der Zecken sind in Endemiegebieten in der Schweiz mit FSME infiziert. Von 100 Personen, welche von einer infizierten Zecke gestochen werden, bleiben 90% gesund, 10% erkranken mit Fieber, Kopfschmerzen und Gliederschmerzen, wovon 5-10% Hirnsymptome machen und hiervon erleiden 10-30% Langzeitfolgen und 1% stirbt. Die ZNS-Symptomatik bei FSME besteht aus Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrations- und Gehstörungen. Ein Teil der Patienten erleidet Lähmungen der Arme, Gesichtsnerven und der Beine, wobei dies bei Kindern meist folgenlos ist, jedoch kommt es im höheren Alter zunehmend zu schwereren Verläufen. Die Diagnose Trias besteht aus der neurologischen Symptomatik, einem Aufenthalt im Risikogebiet und der Serologie, welche sehr aussagekräftig ist und das IgM ist bei der ersten Konsultation praktisch immer positiv. Die Behandlung der FSME ist rein supportiv. Die Ausbreitung der FSME nimmt in mehreren Ländern und auch in der Schweiz zu. Impfen lassen soll sich, wer in einem Endemiegebiet wohnt oder sich dort zeitweise aufhält (Erwachsene und Kinder ab 6 Jahren).

 

Zecken können auch Ehrlichien und Babesien übertragen; dafür gibt es in der Schweiz serologische Hinweise, der Erreger wurde aber bislang in der Schweiz nicht bei Menschen gefunden. Zecken können zudem auch Rickettsien und – selten, da meist durch Nagetierkontakt verursacht – Tularämie übertragen. Es sind in der Schweiz Einzelfälle dokumentiert.

Neben den durch die Zecken übertragenen Erkrankungen gibt es im Schweizer Wald auch noch den Fuchsbandwurm, das Hantavirus und das Q-Fieber, welche Frau Dr. Bertisch ebenfalls noch kurz gestreift hat.

 

Im Namen aller Zuhörer danke ich Frau Dr. Bertisch für den lehrreichen Vortrag und allen Erregern zum Trotz: Nichts hält mich von einer im Wald am Feuer gebratenen Cervelat ab, welche ich auch mit allen Mitteln gegen Bären, Füchse und den Räuber Hotzenplotz verteidigen werde.