Wie erfolgt die HIV- Infektion des weiblichen Genitaltrakts?
Zwei amerikanische Forscher hinterfragen bisherige Vorstellungen über die HIV-Infektion des weiblichen Genitaltrakts und sind der Meinung: es gibt ein Vulnerabilitätsfenster während des weiblichen Zyklus".
85% aller neuen HIV- Infektionen erfolgen von Männern auf Frauen. Verschiedene neue Ansätze, wie Frauen vor einer Infektion geschützt werden können, sind in den letzten Jahren gescheitert (Diaphragma- Studie; Merck Impfstudie; verschiedene Versuche mit Vaginalgel-Applikation). Das Femidom scheint nicht sehr beliebt zu sein.
Zwei amerikanische Forscher haben "eine neue Strategie zum Verständnis, wie HIV Frauen infiziert" aufgestellt(C.Wira, J. Fahey, AIDS 2008). Im Rahmen ihrer langjährigen Arbeiten haben sie den Eindruck gewonnen, dass Falschannahmen darüber bestehen, wie eine HIV- Infektion im weiblichen Genitaltrakt erfolgt und wie das Zusammenspiel zwischen dem Immunsystem und hormonellen Regulationsmechanismen im weiblichen Genitaltrakt erfolgt:
1. These: Man sei bislang davon ausgegangen, "dass der untere Teil des weiblichen Genitaltrakts (Ektocervix und Vagina) die einzigen Eintrittspforten für HIV seien". Entgegnung der Autoren : aktuelle Forschungsarbeiten wiesen darauf hin, dass auch Endocervix und Uterus Eintrittspforten für HIV nach Geschlechtsverkehr seien.
2. These: "oberhalb des Zervikalkanals ist alles steril". Entgegnung der Autoren: markierte Microsphären, Farbstoffe oder Spermien seien innerhalb von Minuten nach Einbringen in die Vagina in Uterus und Eileitern nachweisbar.
3. These: "Da der weibliche Genitaltrakt keine organisierten Lymphfollikel besitzt, kann dort keine Immunantwort induziert werden". Entgegnung der Autoren: im Uterus befinden sich Lymphfollikel, im gesamten Genitaltrakt sind antigen-präsentierende Zellen, und Toll-like Rezeptor-agonisten würden bei Einbringen in die Vagina einen Schutz bewirken, der über den durch Impfung erreichbaren Schutz hinausginge.
4. These: "Hormonale Regulation spielt keine Rolle beim Immunschutz des weiblichen Genitaltrakts". Entgegnung der Autoren: diese kann hier nur kurz zusammengefasst werden: Um eine erfolgreiche Reproduktion gewährleisten zu können, kommt es im gesamten weiblichen Genitaltrakt während der Zyklusmitte zu einer 7 bis 10 Tage dauernden Periode, während der die angeborene, humorale und zelluläre Immunität durch Estradiol und/oder Progesteron supprimiert werden. Diese Suppression koinzidiert mit der Rekrutierung potentiell infizierbarer Zellen und mit der Hochregulierung von Korezeptoren auf Zielzellen, die entscheidend sind für die Virusaufnahme.
5. These: "Immunzellen im weiblichen Genitaltrakt sind identisch mit denen im Blut". Entgegnung der Autoren: es komme rasch nach Eintritt in den weiblichen Genitaltrakt zu einer Reifung/ Differenzierung von Subtypen der Leukozyten.
weitere Überlegungen der Autoren: Vor diesem Hintergrund müsste ja der Einsatz von hormonellen Kontrazeptiva eine Rolle für die HIV-Infektion spielen. Hier scheine sich aber in der Literatur noch kein klares Bild zu ergeben. Zum (erhöhten) HIV- Infektionsrisiko im Alter schreiben die Autoren, dass Epithelzellen (im weiblichen Genitaltrakt) weniger Kapazität zur Sekretion von antimikrobiellen Substanzen aufweisen (eigene Anmerkung: zusätzlich dürften auch noch weitere Faktoren wie z.B. eine fragilere Vaginalschleimhaut eine Rolle spielen).
Konsequenzen der Autoren:
Forschung solle den weiblichen Genitaltrakt als (überall infizierbare) Einheit betrachten. Hormonale Faktoren sollten beachtet werden. Immunzellen im Blut könnten nicht als Surrogatmarker für den weiblichen Genitaltrakt eingesetzt werden. Zudem müsse angesichts der Schnelligkeit der HIV- Infektion durch eine Impfung ein Schutz durch humorale, zellvermittelte und angeborene Mechanismen des Immunschutzes erzeugt werden.
eigener Kommentar: wenn die Zyklusmitte so eindeutig der "Risikobereich" für eine HIV- Infektion ist: hätte man das nicht schon längst anhand Infektionsinzidenzen merken müssen? Und gab es nicht auch noch Hinweise auf eine "Risikoperiode" für Infektionen während der Menstruation?
Quelle: C.Wira, J. Fahey, AIDS 2008, 22:1909-1917