Protease-Hemmer und das Abacavir-Thema
Einige Arbeiten am ICAAC befassten sich mit den neueren Protease-Hemmern. Ein weiteres Thema, welchs wir hier noch abhandeln sind die Fragen rund um die Potenz von Abacavir gegenüber Tenofovir.
Atazanavir: Das Schloss bleibt standhaft
Zwei Poster berichteten vom sog. CASTLE-Trial, einer Vergleichsstudie des Protease-Standards Kaletra (Ritonavir boosted Lopinavir) vs. Atazanavir (mit Ritonavir), beide kombiniert mit Truvada. Neu wurden hier die abschliessenden Daten zur Wirksamkeit nach 96 Wochen gezeigt. In dieser grossen „non-inferiority“-Studie hat sich Atazanavir/r sehr gut gegenüber dem Standard Kaletra behauptet. Die virologische Versagerrate war in beiden Gruppen mit 7% sehr tief. Die Suppressionsrate (<50 kp/ml Woche 96) war mit 74% unter ATV/r höher als bei Lopinavir/r (68%) und insbesondere lag auch die Nebenwirkungsrate bezüglich Blutfetten deutlich (ca. 50%) unter dem Vergleichspräparat. Mit 2% vs. 12% Durchfall hat ATV/r klar besser abgeschlossen, doch man sollte doch beachten, dass dieses subjektive Kriterium in einer offenen Studie weniger aussagekräftig ist. Beide Vergleichsgruppen hatten in den ersten 48 Wochen eine vergleichbare, und recht gute Adherence, wie im Poster von Su et al gezeigt wurde.
Quelle: Su et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1242
Quelle: Molina et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1250d
Artemis: auch Darunavir drängt ins Märchenschloss
Auch Darunavir möchte in die hohen Gefilde der Indikation für bisher unbehandelte Patienen vorrücken und der Tatbeweis ist den Autoren der Artemis Studie recht gut gelungen (und die FDA-Zulassung ist auch schon erreicht). In der Artemis-Studie wurde DRV/r (600/100mg qd) mit dem Protease-Standard LPV/r in Kombination mit TDF/FTC (Truvada) verglichen. Bereits nach 48 hatte die neue Substanz „non-inferior“ abgeschnitten, in der aktuellen Analyse reichte es sogar zum „Superiority-Claim“. Mit 78% vs. 71% Suppression (<50) war das Konfidenzintervall des Unterschieds knapp über 0 (was ATV in der Castle-Studie mit -0.3% knapp verpasst hatte!).
Auch in diesem Vergleich war die virologische Wirksamkeit vermutlich vergleichbar, doch die allgemein bessere Verträglichkeit der neuen Substanzen führt zur kontinuierlichen Verbesserung der Resultate in der Intention-to-treat Analyse. Das Lipidpspektrum war bezüglich Cholesterin (HDL/LDL) vergleichbar, Triglyceride deutlich höher bei LPV/r
Quelle: Mills et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1250c
Fosamprenavir braucht nicht mehr Ritonavir als andere
Die Dosierung des „boosting-agent“ Ritonavir ist eine offene Frage. Vermutlich braucht es wenig. Fosamprenavir wurde bei der Umstellung von bid auf qd mit Ritonavir von 700/100mg auf 1400/200mg kombiniert. Eine GSK-Studie konnte nun zeigen, dass die Dosierung 1400/100mg auch nach 96 Wochen mit der 1400/200mg bezüglich Wirksamkeit vergleichbar ist (zahlenmässig sogar überlegen). Das Problem waren die doppelt so häufigen Therapieabbrüche unter der höheren Dosierung.
Quelle: DeJesus et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1246
Quelle: Ross et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1245
ARIES-Studie
Wir haben nun eine Menge neuer „boosted-PIs“ zur Verfügung. Die Unterschiede scheinen gering, offensichtlich stehen die neueren Substanzen vor allem in Bezug auf Nebenwirkung besser da was erfreulich ist. Interessant wäre nun natürlich ein Vergleich von ATV/r mit DRV/r, doch solche Studien werden selten vorangetrieben. Eine besondere Frage steht uns noch mit der Aries-Studie vor der Tür. Hier wird untersucht, ob nach einer Induktion von 36 Wochen mit geboostetem ATV auf eine 400mg ATV Therapie umgestellt werden kann. Erste Resultate sind für Glasgow angekündigt.
Von der Aries-Studie erhielten wir aber noch eine Information zur Frage der unterschiedlichen Wirksamkeit von Abacavir und Tenofovir bei Patienten mit hoher HIV-RNA (>100’000). Wir hatten aus Mexico über die Resultate der ACTG 5202 Studie berichtet. In dieser Studie wurden anfangs Jahr Patienten mit hoher Ausgangs-Viruslast von Abacavir auf Tenofovir umgestellt, weil das DSMB eine schlechtere Wirksamkeit von Abacavir in der Subgruppe mit hoher Viruslast feststellte.
Natürlich sind dies provisorische Analysen und weitere müssen noch folgen. Doch eine Arbeit aus der Aries Studie konnte das Problem bei hoher Viruslast nicht bestätigen. Denn in dieser Studie (s. oben) sollen ja Patienten unter ATV/r nach 36 Wochen auf ATV ungeboostet umgestellt werden. In dieser Studie ist der Nuke-Backbone Kivexa (Abacavir+3TC). Somit konnte untersucht werden, ob die Suppressionsrate in der Untergruppe mit hoher Viruslast (>100’000) schlechter abschneidet als die anderen. In dieser Studie errechten 80% nach 36 Wochen das Therapieziel <50kop/ml und die beiden Gruppen zeigten keinen wesentlichen Unterschied (84 vs. 76%) der nicht alleine mit einer längeren Dauer der Suppressionszeit bei hoher Viruslast erklärt werden könnte.
Week 36 Results, n/N (%) | ABC/3TC + ATV/r N=515 |
vRNA<50/ 200 c/mL, TLOVR | 410/515 (80%)/ 422/515 (82%) |
BL vRNA <100,000 c/mL | 190/227 (84%)/ 193/227 (85%) |
BL vRNA >100,000 c/mL | 220/288 (76%)/ 229/288 (80%) |
Utilizing A5202 primary efficacy endpoint | 96.5% |
BL vRNA <100,000 c/mL | 98.1% |
BL vRNA > 100,000 c/mL | 95.1% |
VF | 15/515 (3%) |
CD4+ cell count (D BL) | +171 cells/mm3 |
Quelle: Squires et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1250a
Wirksamkeit von Abacavir vs. TDF
Bereits in Mexico hatte Pappa von der Fa GSK mit einer Zusammenfassung der Daten aus 6 klinischen Studien gezeigt, dass in dieser Analyse der Unterschied nach Viruslast bei hoher RNA nicht bestätigt werden konnte. Diese Arbeit wurde auch hier vorgestellt (Pappa, H-1251). Doch eine Metaanalyse von Andrew Hill hat nun die Abacavir-These der ACTG erneut gestützt: In dieser Analyse wurden 12 Studien mit knapp 4900 Patienten eingeschlossen. In allen Studien wurden die NRTI mit einem PI/r kombiniert. In dieser Gesamtübersicht zeigte sich TDF/FTC dem ABV/3TC überlegen. Allerdings muss ich eingestehen, dass ich die komplexen statistischen Methoden, die hier zur Anwendung gekommen sind, nicht verstehe.
Die Frage der Unterlegenen Wirksamkeit von Abacavir vs. TDF (bei hoher und tiefer Viruslast) wird uns noch einige Zeit beschäftigen. Denn im direkten Vergleich fand sich bisher kein solcher Unterschied.
Quelle: Hill et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1254