Neue HIV- Medikamente: Interessante Entwicklung geht weiter!
In einer Slide- und einer Postersession am Sonntag und wurden einige Entwicklungen zu neuen Medikamenten vorgestellt. Wir berichten über Raltegravir bei unbehandelten Patiente, über Elvucitabine, RDEA806 und Bevirimat, drei weitere Substanzen zur Behandlung der HIV-Infektion in klinischer Prüfung.
Raltegravir – Schritt nach vorn
Der Integrasehemmer der Firma MSD wurde aufgrund seiner hervorragenden Resultate bei Patienten mit multiplen Resistenzen relativ rasch eingeführt und ist auch in der Schweiz für die Behandlung von Therapieerfahrenen Patienten mit multiplen Resistenzen zugelassen. Die Substanz hat für die vergleichsweise wenigen heute noch ungenügend behandelbaren Patienten in vielen Fällen einen Durchbruch gebracht.
Doch die nach bisherigen Beobachtungen äusserst gute Verträglichkeit der Substanz bei ausgezeichneter Wirksamkeit sind wichtige Argumente, diesen Integrasehemmer auch schon früher in der Therapie einzusetzen. Der STARTMRK-Trial hat die Substanz bei Zuvor unbehandelten mit dem Therapie-Standard Efavirenz (in Kombination mit TDF+FTC=Truvada) verglichen.
Die gut 280 Patienten pro Behandlungsarm wurden während 48 Wochen mit behandelt. Die STudie muss noch über insgesamt 96 Wochen weiter laufen. Raltegravir wurde zweimal täglich dosiert (2x400mg), was sicher noch ein Nachteil ist. Doch die Überlegungen zur Pathogenese der Infektion (s. Bericht von Hazuda) lassen vermuten, dass die irreversible Bindung des Inhibitors auch bei kurzer HWZ im Plasma eine einmal tägliche Anwendung zulassen.
Raltegravir zeigte in dieser Vergleichststudie erneut eine ausgezeichnete Verträglichkeit. Mittlere bis schwere Nebenwirkungen fanden sich häufiger unter EFV (16% RAL vs. 32% EFV, p<0.001) sobei sogenannte "serious events" in beiden Gruppen vergleichbar waren. Nachdem in den ersten Studien unter RAL noch vermehrt Fälle von Malignomen beobachtet wurden, hat sich dies hier nicht bestätigt. 9 Fälle in der EFV-Gruppe standen einem einzigen Fall in der RAL-Gruppe gegenüber. Neurologische Nebenwirkungen zeigten sich erwartungsgemäss häufiger im EFV-Arm (18%) doch es ist überraschend, dass es doch noch 10% im RAL-Arm waren (p=0.02).
Auch der CD4 Anstieg war mit 189 vs. 163 Zellen (nach 48 Wochen) signifikant höher im Raltegravir-Arm als unter Efavirenz. So zeigt sich diese neue Substanz als klarer Hoffnungsträger auch für die First-line Therapie. Es wird sich zeigen, ob Merck auch ihr Versprechen einhält, und bei Einführung der Substanz als Ersttherapie auch den noch prohibitiven Preis für eine solchen breite Anwendung senkt.
Quelle: Lennox et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-896a
Elvucitabine (ELV) – Neuer NRTI ohne grosse Hoffnungen
Bei diesem neuen NRTI (früher ACH123,446) handelt es sich um ein Cytosin-analog (wie 3TC, FTC), welches in sehr geringer Dosis Wirksam ist. So genügt eine Dosis von 10mg (qd) für ausreichende Blutspiegel. In der hier vorgestellten Phase 2 Studie wurden 77 Patienten eingeschlossen und entweder mit 3TC (300mg) oder ELV (10mg) in Kombination mit Efavirenz und Tenofovir über 48 Wochen behandelt.
Der Anteil Patienten mit vollständiger Virussuppression war in der ELV-Gruppe nach 48 Wo eher tiefer (65% vs. 78%, p=0.07). Die anderen Aspekte zeigten keine Auffäligkeiten. Auf den ersten Blick würde man wohl meinen, hat diese Substanz kaum Chancen, sich gegen die Altbewährten durchzusetzen. 3TC verliert bald seinen Patentschutz, sodass sich diesbezüglich die weitere Entwicklung eines me-too wohl kaum lohnt.
Quelle: DeJesus et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-892
RDEA806 – Ein neuer Stern am NNRTI Himmel weckt hohe Erwartungen
Besser dürften die Erwartungen mit diesem neuen NNRTI der kleinen Biotech Firma Ardea BioSci sein. Erste in vitro Daten mit der Substanz wurden bereits vor einem Jahr am ICAAC vorgestellt und Graeme Moyle hat die Studie bereits in Mexico präsentiert (pdf Präsentation Mexico). Die Substanz fällt auf durch ihre hohe Resistenzbarriere wenn die Resistenzentstehung in vitro (Zellkulturen) untersucht wird. In der Abbildung rechts ist die Resitenzentwicklung verschiedener NNRTI in vitro dargestellt. Auf der Abszisse die Anzahl Replikationsschritte. Auf der Y-achse der Resistenzgrad gegenüber dem Medikament. Ganz links finden s
ich Resistenzen gegenüber Efavirenz und dann ganz rechts nach mehr als 300 Replikationsschritten die Entwicklung von Resistentem Virus sei es rot mit dem Wildtyp oder violett mit der K103N Resistenz gegen Efavirenz. Es besteht somit auch keine Kreuzresistenz mit Efavirenz. Gegenüber Efavirenz braucht es ein vielfaches von Replikationszyklen, bis die Viren gegenüber RDEA806 resistent werden.
Im Bild links eindrücklich dargestellt der Abfall der Viruslast um gut 1.6 log nach 7 Tagen Monotherapie. Ähnlich wie bei Raltegravir fand sich kein Unterschied der Wirksamkeit nach 7 Tagen in Dosierungen zwischen 400 bid (blau) sowie 600 bis1000mg qd. Die einmal tägliche Anwendung sowie die fast fehlenden Nebenwirkungen in dieser noch kleinen Fallzahl lassen die Substanz aber schon in sehr gutem Licht erscheinen.
Quelle: Moyle et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-893
Bevirimat (BVM) – Erster Vertreter einer neuen Substanzklasse – Maturationshemmer
Wenn HIV aus einer Zelle austritt, so ist das Kernprotein (core) noch in einer Rohform und muss zuerst aufgespalten werden. An der sogenannten Cleavage-Site, wo eine HIV eigene Protease das Protein aufspatet, setzen die neuen Maturationshemmer an. Wird das gag-protein (core) nicht richti aufgespalten, kann das Virus seine endgültige Form nicht einnehmen.
Bevirimat (BVM) der kleinen Startupfirma Panacos ist der erste Vertreter der neuen Substanzklasse. Vorgestellt wurde eine doppelblind durchgeführte Phase-2 Studie. Die Substanz (400mg, 1 tbl qd) wurde während 2 Wochen zu einer bereits bestehenden aber nicht mehr wirksamen Therapie zugegeben. Dies entspricht eigentlich einer funktionellen Monotherapie.
Leider hat die Substanz mit einer Viruslast-Senkung von 0.6 log/ml nicht die Wirksamkeit gezeigt, wie wir sie für andere neue Substanzen kennen (um 1.5-1.8 log bei Monotherapie). Auch die Nebenwirkungen sind nicht so spärlich, wie beim neuen Standard Raltegravir (Diarrhoe 17% mehr als Placebo, Übelkeit +11%, Kopfschmerzen +3%). Sicher muss die Substanz noch besser untersucht werden. Die Firma hat eine Phase 3 Studie bei therapieerfahrenen Patienten angekündigt.
Quelle: Lalezari et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-891
Monoklonale Antikörper drängen in die Therapie vor!
Was noch vor einigen Jahren als unwahrscheinlich galt, wird nun langsam Realität: Der Vormarsch der Monoklonalen Antikörper. Antikörper sind komplexe Eiweisse, die sich an fremde Strukturen binden. Da Eiweisse im Verdauungstrakt aufgelöst werden, können sie nur parenteral verabreicht werden, was die Anwendung schwierig macht. Doch interessant könnten die Antikörper dann sein, wenn es gelingt, mit einer einmaligen intravenösen oder intramuskulären Injektion eine langanhaltende Wirkung zu erzielen.
Pro 140 ist ein solcher Antikörper der Firma Progenics. Der Antikörper bindet an das CCR5-Molekül, dort wo das gp120 des HIV-Virus binden sollte. Der Antikörper hat deshalb auch synergistische Wirkungen zu Maraviroc und Vicriviroc (Murga et al, AAC 2006), aber auch die dieselben Nachteile bezüglich Restriktion auf CCR-5-trope Viren.
In dieser Phase 2 Studie erhielten die Patienten eine Dosis (5 oder 10mg/KG) des Antikörpers oder Placebo. Die Viruslalast zeigte eine anhaltende Reduktion auf maximal 2.2 log (10mg/KG) und nach 12 Tagen immer noch eine anhaltende Suppression um 2.0 log. Im Durschnitt wurde die Viruslast in der hohen Dosirung über 3 Wochen um 1.5 log gesenkt. Die Substanz wurde gut toleriert.
Angesichts der aktuell hervorragenden Wirksamkeit und Einfachheit der täglichen Einnahme von antiviralen Medikamente ist es fraglich, ob es diese Substanz noch in die klinische Anwendung schafft. Das Hauptproblem wird dabei dasselbe sein, mit welchem heute Maraviroc konfrontiert ist: Die Einschränkung in der Anwendung auf CCR5-trope Viren (und die damit verbundene Notwendigkeit eines Tests, s. auch unseren Bericht zum sensitiveren Tropismus-Assay).
Doch eine geniale Anwendung dieser Substanz wäre in der Prävention. Wir wissen, dass HIV praktisch ausschliesslich als CCR5-tropes Virus sexuell übertragen wird. Man stelle sich vor, man könnte sich mit einer einmaligen Spritze wirksam während einem Monat vor einer HIV-Infektion schützen – für viele eine interessante Aussicht.
Quelle: Jacobson et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1269a