Nebenwirkungen der HIV-Therapie
Wer mit einer HIV-Therapie beginnt, wird sich ja in der Regel auf eine Jahrzehntelange Therapie einstellen. Neue Substanzen müssen daher vor allem der Anforderung einer guten Langzeitverträglichkeit genügen. Da Medikamente bei der Einführung meist nur an einigen hundert Patienten erprobt sind, müssen die weiteren Erfahrungen der Therapie im Verlaufe der Anwendung gut überwacht werden.
Hier eine Auswahl von Arbeiten, welche sich am ICAAC mit der Toxizität der bereits eingeführten HIV-Medikamente auseinandersetzten.
Tenofovir: Niereninsuffizienz nicht bestätigt
Trotz seiner Molekülverwandschaft mit dem nephrotoxischen Cidofovir hat sich Tenofovir (TDF) in den Zulassungsstudien bezüglich Nierentoxizität als unbedenklich erwiesen. Einige Autoren haben nun aber immer wieder aufgrund von Einzelfällen vor Nephrotoxizität gewarnt, insbesondere wenn bei Patienten vor der Therapie bereits eine Nierenschädigung vorliegt. Nun haben Moore und Gallant von der Johns Hopkins School of Medicine die Daten ihrer eigenen Patienten analysiert. Es wurden Risikofaktoren für einen Abfall der Glomerulären Filtrationsrate (GFR) um 25 resp. 50% untersucht und die Zeit bis zum Auftreten dieser Endpunkte in einer Kaplan-Meier Analyse dargestellt.
Insgesamt wurden in der Studie 201 Patienten unter TDF mit 231 Patienten unter einem anderen NRTI verglichen.
In der vorangehenden Kaplan-Meier-Analyse zeigt sich in dieser Untersuchung kein Unterschied. Allerdings ist die Zahl der untersuchten Personen relativ klein und die Patienten waren relativ gesund (ca. 5% Diabetes, ca. 25% Hypertonie).
Folgende Faktoren waren unabhängig von TDF-Therapie mit einem Abfall der GFR assoziiert:
• Alter
• Tiefere CD4 Werte
• Hypertonie
Wenn TDF mit einem Ritonavir-geboosteten Protease-Hemmer (PI/r) kombiniert wurde, so war das Risiko einer >50%-igen GFR-Reduktion um das Doppelte erhöht (gegenüber der Kombination von TDF mit einem NNRTI).
Der Zusammenhang mit PI/r ist interessant und wurde schon von anderen Autoren beschrieben. Ein weiteres Poster (Short et al, H-2298) konnte jedoch diesen Zusammenhang mit PI/r nicht bestätigen, wobei die Zahl der eingeschlossenen Patienten etwas kleiner war.
Quelle: Moore & Gallant, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-2297
Kann das Risiko eines Hautausschlages auf Nevirapin vorausgesagt werden?
Nevirapine erlebt ein Revival. Von allen NNRTIs und PIs ist es eines der Medikamente mit der besten Langzeitverträglichkeit, guten Langzeitdaten und bald auch als eine Tablette à 400mg für die einmal tägliche Einnahme verfügbar und zudem ist es auch mit Abstand die günstigste Substanz.
Das Problem beim Nevirapine sind die Nebenwirkungen bei ca. 20% der Personen gleich zu Beginn der Behandlung. Hautauschläge und Lebertoxizität sind die beiden am meisten beobachteten Nebenwirkungen. Insbesondere die Hautausschläge, welche bestimmt bei 20% der Patienten auftreten und in vielleicht 5% zum Therapieabbruch führen, sind lästig. Es wäre günstig, wenn man diese Nebenwirkungen mit einem genetischen Test, ähnlich wie bei Abacavir, voraussagen könnte.
Eine Thailändische Gruppe (Preisdruck!) hat versucht, mit einem klinischen Score die Patienten mit hohem Risiko für einen Hautauschlag zu identifizieren. In einem Fall-Kontroll-ähnlichen Vorgehen wurden Risikofaktoren identifiziert, diese dann gewichtet und in einen Score integriert. Folgende Faktoren wurde mit nebenstehenden Punkten bewertet:
- Allergien in Anamnese (14 Pkte)
- Körpergewicht < 55kg (7 Pkte)
- Keine einschleichende Dosierung (7 Pkte)
- Keine Begleittherapien (9 Pkte)
Wenn 21 Punkte erreicht sind (Anamnese plus 1 Faktor oder 3 andere Faktoren), ist der positive Aussagewert in dieser Population 69%. Es wurde sogar eine ROC-Analyse gemacht, welche mit einer AUC von 71% ordentlich ausfällt. Doch wenn man die Punkte betrachtet, so kann man sich das auch einfacher haben: Wer schon eine Allergie hat, hat mit NVP ein Problem, die anderen Faktoren sind wohl nicht so aussagekräftig und können auch nur auf diese Thailändische Population angewandt werden.
Quelle: Kiertieburanakul et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-2294
Nevirapine assoziierte Hepatopatie überbewertet?
Ein grösseres Problem – und auch für Viele ein Grund des Zögerns bezüglich NVP – ist die Hepatoxizität. Sie kommt deutlich seltener als der Hautauschlag, kann aber gefährlich sein. In den Zulassungsstudien wurden Hepatoxizität häufiger bei hohen CD4 Werten beobachtet. Seither sind diese CD4-Einschränkungen im „label“ (400/ul für Männer, 250/ul für Frauen). Sind diese Einschränkungen tatsächlich notwendig, und sind sie vor allem auch gültig, wenn eine gut funktionierende Therapie aus Gründen der Verträglichkeit auf Nevirapine umgestellt wird? Wir wissen es nicht.
Die Athena-Kohorte hatte Daten produziert, die an er Notwendigkeit einer CD4-Limite zweifeln lassen. Es ist ja in der Tat auch seltsam. Wenn jemand einmal behandelt wird, so steigen die CD4 Werte an, ohne dass irgend etwas bezüglich Leber passiert. Eine Spanische Studie hat nun alle Daten von 221 Patienten retrospektiv analysiert, welche entweder zur Vereinfachung der Therapie (N=141) oder wegen Toxizität (n=43) auf Nevirapine umgestellt wurden.
Insgesamt hatten 8% eine Lebertoxizität, wobei – entgegen den Befürchtungen aus dem "label" – die Rate bei tiefen CD4 Werten (13%) höher war als bei hohen Werten (7%). Der einzige Faktor, der mit Hepatotoxizität assoziiert war, war eine virale Hepatitis C. Interessanterweise trat die Mehrzahl der Fälle mit Lebertoxizitä (61%) später als 6 Monate nach Umstellung auf, was einen direkten Zusammenhang mit Nevirapine auch in Frage stellt.
Diese Daten lassen vermuten, dass die Gefahr einer Lebertoxizität bei Nevirapine überbewertet wird und dass insbesondere die CD4-Grenzwerte bei einer Umstellung einer gut wirksamen Therapie vermutlich nicht gültig sind. Eine Umstellung kann somit – unter den notwendigen Vorsichtsmassnahmen – sicher versucht werden.
Quelle: Antela et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-2296
Soll Tenofovir mit Vitamin D verschrieben werden
Tenofovir (TDF) ist neben 3TC/FTC das am häufigsten verschriebene Nukleosid-Analogon. Wenn TDF ein längerfristiges Problem hat, so ist dies nicht die Niereninsuffizienz sondern der renale Phosphatverlust. Der Körper mobilisiert in der Folge das Phosphat aus dem Knochen, was zum beschleunigten Knochenverlust führt, was in Anbetracht des steigenden Durchschnittsalters unserer Patienten zu einem Problem werden könnte. Ein Problem, das auch Prominente betreffen kann (s. Abbildung). Leider sind diese langfristigen Auswirkungen des renalen Phosphatverlustes unter TDF noch nicht bekannt, doch wir sind gut beraten, uns jetzt schon mit diesen Konsequenzen auseinander zu setzen. Ähnlich wie bei den mitochondrialen Nebenwirkungen ist auch der Knochenschwund ein weitgehend irreversibler Schaden, den es auf alle Fälle zu verhindern gilt. Eine Gruppe vom Mount Sinai Hospital in New York ist in einer prospektiven Querschnittstudie der Frage nach einer möglichen Verhinderung des Schadens nachgegangen. Dabei haben die Autoren ein pathophysiologisches Konzept verfolgt, wonach die durch den Phosphatverlust bedingte Demineralisierung des Knochens (BILD FOLGT) zu einem Anstieg des Parathormons messbar werden sollte.
Zusätzlich zum Parathormon wurde dem Konzept folgend auch Vitamin D gemessen und die Messungen bei Patienten mit und ohne TDF-Therapie verglichen. Die Resultate waren eindrücklich: Bei Patienten unter TDF (dunkel in der nebenstehenden Abbildung) waren die Parathormon-Werte signifikant höher als bei Patienten ohne TDF und die hohen PTH-Werte waren insbesondere akzentuiert wenn der Vitamin-D Spiegel stark erniegdrigt war. Erstaunlich ist, dass diese Arbeit an nur 36 Patienten schon diese signifikanten Resultate zeigte. Alle Patienten hatten übrigens eine normale Nierenfunktion und einen normalen serum-Kalziumspiegel. Die Autoren vschlagen vor, dass Patienten mit tiefem Vit.D-Spiegel eine Vitamin-D Substitution erhalten sollten, denn erhöhte Parathormonspiegel sind bekanntermassen assoziiert mit Knochenschwund und Herzkreislaufkrankheiten. Sicher kann man sich auch fragen, ob nicht einfach eine Vitamin-D Substitution (+ Kalzium?) bei allen TDF-Behandelten durchzuführen sei, denn der Phosphatverlust erfolgt bei allen Patienten unter TDF.
Quelle: Childs et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-2300
SMART schlägt erneut zu – HAART reduziert Knochendichte
Der im o.g. erwähnte Phosphatverlust unter Tenofovir galt bisher als Indiz, dass dieser Phosphatverlust auch längerfristig zum Phosphatentzug aus dem Knochen führen dürfte. Allerdings fehlen und bisher zur Unterstützung dieser Befürchtung klinische Verlaufsdaten, doch die pathogenetischen Mechanismen (s. oben) stimulieren uns, das Phänomen doch genau zu beobachten.
Nun kommt eine erste retrospektive Untersuchung aus der SMART Studie, deren Resultate überraschen: 275 Teilnehmer der SMART Studie wurden in der Body-Composition Substudy eingeschlossen. In dieser Substudie wurde bei allen Patienten neben zusätzlichen Labormethoden auch jährlich ein DEXA-Scan (Knochendichte-Messung) und ein standardisierter Querschnitt mit CT gemessen.
In dieser Substudie fand sich nun bei allen Patienten, welche die HAART nach der Randomisierung unverändert fortgesetzt hatten ein Abfall der Knochendichtebestimmung. In der nebenstehenden Abbildung sind die Werte (blau für kontinuierliche Therapie, braun für Behandlungsarm mit Therapiepausen) für die DEXA-Messung dargstellt, doch die Resultate mittels CT sind etwa dieselben. Interessanterweise waren vor allem Thymidin-Analoga mit dem Knochenschwund assoziiert, für Tenofovir fand sich kein solcher Zusammenhang. Allerdings war die mit Tenofovir behandelte Gruppe recht klein, (11 und 15%) sodass es möglich ist, dass wir noch mehr darüber hören werden. Doch die Studie lehrt uns, dass die für Tenofovir befürchtete Nebenwirkung überaschenderweise für alle HIV-Medikamente zutreffen könnte. Wir müssen offenabar dieses Kapitel des HIV-Therapie-Buches noch einmal neu schreiben. Man darf davon ausgehen, dass diese kleine retrospektive Analyse nun noch zahlreiche weiteren Studien initiieren wird.
Quelle: Grund et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-2312a