Managementfragen rund um HIV-Therapie
Die HIV-Therapie muss heute auf eine (Jahrzehnte-) lange Intervention ausgerichtet werden. Daher gibt es immer mehr Arbeiten, die sich mit Fragen eines optimalen Managments der HIV-Therapie auseinandersetzen. Zu diesen Fragen gehören auch:
- Vereinfachung der Therapie
- Richtiger Zeitpunkt des Therapiestarts
- Auswahl der optimalen (individualisierten) Therapie
Frühzeitiger Therapiebeginn – Das Pendel schwingt nicht mehr
Schon 2002 hatten wir in einer Studie der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie darauf hingewiesen, dass ein früher Beginn der HIV-Therapie mit CD4 Werten über 350 bezüglich Überleben günstiger wäre (Opravil AIDS 2002)
Mit den heute deutlich geringer toxischen Medikamenten, wird diese Strategie nun auch sinnvoll. Seit der SMART-Studie wissen wir auch, dass die HIV-Infektion durch die chronische Aktivierung der Immunsystems nicht nur die CD4 Zellen sondern auch viele andere Organe schädigt und das Überleben senkt (SMART, NEJM 2006). Dieses Jahr hat auch eine Analyse von 2035 Patienten in Spanien gezeigt, dass diejenigen, die früher mit der Therapie beginnen weniger sterben, auch wenn der sog. „lead-time-bias“ in die Berechnungen einbezogen wird (Jaen, JAIDS 2008).
Die vergleichsweise sehr gute Verträglichkeit der heutigen Therapien lassen uns immer aktiver werden bei der Therapieempfehlung auch bei höheren CD4 Werten. Ein interessanter Latebraker-Vortrag hat diese moderne Tendenz bestätigt.
In dieser US/Kanadischen Kollaboration wurden insgesamt 5926 Patienten eingeschlossen, welche 1996 bis 2006 einen CD4 Wert zwischen 350 und 500 hatten. Von diesen Patienten haben 32% eine Therapie begonnen, bevor die CD4 Werte unter 350 abfielen. Das Mortalitätsrisiko war in der Gruppe, welche die Therapie erst später einleitete deutlich erhöht (RH 1.74, 95% CI 1.4-2.1; p<0.001).
Die Studie ist ein weiteres Puzzleteil, welches uns ein aggressiveres Vorgehen bei der Einleitung einer HIV-Therapie empfiehlt. Es stellt sich die Frage, ob man die Studien zum Vergleich eines frühen mit einem späten Therapiebeginn aus ethischen Überlegungen überhaupt noch machen darf. Auf jeden Fall dürfen wir feststellen, dass die Tendenz in Richtung früher Therapie unaufhaltsam läuft und dass es wohl kein Zurück mehr geben wird.
Quelle: Kithahata et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-896b
Kann der Erfolg einer Therapie vorausgesagt werden?
Heute führt ja fast jede neu eingeleitete Therapie zum Erfolg, das heisst zur vollständigen Suppression der Viruskonzentration. Ein Wechsel des Medikamentes kommt immer noch vor, doch solange des Therapieziel erreicht werden kann, ist dies kein Problem. Es stellt sich nun die Frage, ob man bei den wenigen, bei denen die Therapie nicht rasch anspricht, dies schon im voraus abschätzen könnte, damit zusätzliche vorbereitende Massnahmen diskutiert werden könnten.
Eine Gruppe vom Mass General in Boston hat dies mit einem einfachen Algorithmus versucht. Als Grundlage haben die Autoren ihre elektronischen Krankenakten verwendet und nur Daten in ihr Voraussagemodell einbezogen, die dort verfügbar waren. Folgende Voraussagemarker wurden definiert und je mit einem Punkt gewertet, sodass ein Score von 0-6 abgeleitet werden kann:
- Früheres virologisches Versagen
- In der Krankenakte dokumentierte schlechte Adherence <85% (Medi-Abgabe)
- CD4<50
- Anamnestisch Alkohol- oder Drogenabusus
- Verpasste Konsultationstermine im Vorjahr
- Virussuppression kürzer als 1 Jahr
- Frühere HIV-Therapie
Der Score teilt das Risiko eines Therapieversagens ist tief (0-2), mittel (3-4) oder hoch (5-6) ein. Der Algorithmus wurde in einer weiteren Studienpopulation überprüft und die Ergebnisse (Tabelle) zeigen einen schönen Voraussagewert des Scores.
Risko Score |
Virol. Versagen n. 1 Jahr |
Virol. Versagen n. 2 Jahren |
Tief 0-2 Punkte |
11/141 (7.8%) | 22/112 (19.6%) |
Mittel 3-4 Punkte |
26/153 (17.0%) | 45/110 (40.1%) |
Hoch 5-7 Punkte |
20/64 (31.3%) | 31/48 (64.6%) |
Quelle: Robbins et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1259
Sensitiverer Tropismus-Assay verbessert Wirkung von CCR5 Antagonisten
Gleich zwei Arbeiten haben die Auswirkung eines verbesserten Tests für die Bestimmung des viralen Tropismus untersucht. HIV kann sich über den CCR5- oder den CXCR4-Corezeptor in die CD4-positive Zelle eindringen. Man spricht im ersten Fall von R5- im zweiten von X4-Tropismus. Zu beginn der HIV-Infektion gibt es praktisch ausschliesslich R5-trope Viren, weil nur dieses Virus sexuell übertragen wird. Im Verlauf dann Entstehung von Dual-tropem Virus häufiger als reines X4 Virus.
Der Tropismus erhielt jetzt eine Bedeutung durch die Entwicklung der CCR5-Inhibitoren (Maraviroc, Vicriviroc). Da diese Medikamente nur die R5-tropen Viren in Schach halten können, wird vor einer Therapie eine Tropismus-Prüfung vorgenommen. Im Verlaufe der Studien hat sich nun gezeigt, dass dieser Test nicht zuverlässig minimaste Mengen von dual-tropem Virus nachweisen kann, und dass dann während einer Therapie diese in kleiner Konzentration vorbestehenden Dual-tropen Viren sich vermehren können.
Dass unter der Therapie neue Dual-trope Viren entstehen können, wird heute bezweifelt.
In dieser Situation wäre es nätürlich nützlich, wenn der Tropismus-Assay möglichst zuverlässig kleinste Konzentrationen von X4-tropen Viren detektieren kann. Die Firma Monogram, welche diesen Test durchführt, hat nun einen sensitiveren Assay eingeführt. Seit anfangs Juli wird nur noch dieser Test durchgeführt. Wenn nun dieser sensitivere Test retrospektiv auf die Screening-Proben der Studien angewandt, in welchen Maraviroc und Vicriviroc geprüft wurden, so kann man die Resultate neu analysieren, als hätte man die Patienten mit dem dual-tropen Virus gar nicht eingeschlossen. Tatsächlich wären mit dem neuen Test 15% der Probanden nicht in die Studie eingeschlossen worden. Dass ein Teil von Ihnen dennoch einen günstigen Therapieverlauf hatte, lässt sich mt der Aktivität der anderen Medikamente und einer Wirkung des CCR-5 Inhibitors auf die vorhandenen R5-tropen Viren erklären. Aber dennoch: Analysiert man die Resultate neu, so zeigt sich in beiden Studien (Maraviroc und Vicriviroc) eine Verbesserung der Wirksamkeit.
Quelle: Su et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-895
Quelle: Saag et al, ICAAC 2008, Washington 25.-28. Oct, H-1232a