Immunmodulatorische Wirkung von Makroliden auch bei der Sepsis?
Bei der Pneumoniebehandlung gab es ja bereits Hinweise, dass die Makrolidwirkung über einen reinen antibakteriellen Effekt hinausgeht. Ein Artikel im "International Journal of Antimicrobial Agents" diskutiert eine solche Wirkung auch bei der Sepsisbehandlung.
Im "International Journal of Antimicrobial Agents" ist ein Artikel erschienen, der die Pathogenese und (neuere) Therapieansätze bei der Sepsis bespricht, mit Untersuchung eines möglichen Einsatzes von Makroliden ("Immunomodulatory therapies for sepsis: unexpected effects with macrolides", E.J. Giamarellos-Bourboulis, 8/2008).
Was ist der Hintergrund?
Zuerst ein paar Überlegungen zur Sepsis. Diese ist in den USA die 10.häufigste Todesursache. Eine kürzlich herausgegebene Studie in Deutschland wies auf Intensivstationen eine Sepsishäufigkeit von 12% auf. Die Sterblichkeit auf der Intensivstation bzw. im Spital betrug dabei 48% bzw. 55% (Engel C et al, Epidemiology of sepsis in Germany: results from a national prospective multicenter study. Intensive Care Med 2007).
Da auch bei früher Diagnose und Therapie der Sepsis die Sterblichkeit hoch bleibt, wurde schon lange nach Wirtsfaktoren gefahndet, die die septische Reaktion intensiv halten und zu Multiorganversagen führen können. Ein Teil dieser "Intensivreaktion" wird in der Interaktion zwischen Erreger und Wirt und einer Verschlechterung der Wirtssituation durch eine immunologische Überreaktion gesehen.
Daraus entstand die Überlegung, die Überaktivität des wirtseigenen Immunsystems durch eine Immunmodulation zu beeinflussen.
Dabei wurde von einem simplifizierten Schema der Pathogenese der Sepsis ausgegangen:
Die septische Reaktion wird eingeleitet, wenn bakterielle Produkte wie Endotoxin (Lipopolysaccharide), Lipoteichonsäure oder sogar bakterielle DNA über Toll-like Rezeptoren, die in die Zellmembran der Monozyten eingebettet sind, Monozyten im Blut und Macrophagen im Gewebe stimulieren. Ein intrazellulärer Signalweg führt dann über die Stimulierung von NF-κB zur Genexpression von pro- und antiinflammatorischen Zytokinen. Die bekanntesten von diesen sind TNFα, Interleukin 1β, IL-6, IL-8 und IL-10. Überproduktion dieser Zytokine kann zu Multiorganversagen, disseminierter intravasaler Koagulation und Hyperglykämie führen.
Wo könnte eine Therapie ansetzen?
Aus diesem Schema wurde abgeleitet, dass eine Verbesserung der Patientensituation durch Hemmung einer oder mehrerer Komponenten der inflammatorischen Kaskade erreicht werden könnte.
Man versuchte eine Blockade oder Modulation der Immunantwort über folgende Mechanismen:
– Einsatz von Anti- Endotoxin- Antikörpern gegen Lipopolysaccharide.
– Einsatz von Antikörpern und löslichen Rezeptoren gegen TNFα, ohne klinischen Erfolg.
– Ein weiterer Versuch war der Einsatz von Drotrecogin alpha (Humanes rekombiniertes aktiviertes Protein C, auf dem Markt als "Xigris") zur Beeinflussung der Gerinnungskaskade. Diese Substanz zeigte einen Überlebensbenefit bei sehr kranken Patienten (Apache- Score > 25). Bei Patienten mit weniger schwerer Sepsis zeigte sich aber eine erhöhte Mortalität im Vergleich zu Placebo (siehe Kommentare von Katia Boggian , 23.3.05 und 4.10.05).
– Ein weiterer Versuch war der Einsatz einer intensivierten Insulintherapie. Eine Studie dazu wurde vorzeitig gestoppt wegen schwerer und lebensbedrohlicher Hypoglykämien.
– Zusätzlich wurde der Einsatz von Hydrocortison bei Patienten mit septischem Schock und relativer Nebenniereninsuffizienz getestet. Darunter zeigte sich lediglich ein rascherer Rückgang der Schocksymptomatik ohne eine Abnahme der Sterblichkeit.
Und die Makrolide?
Auf der Suche nach einer anderen Massnahme der Immunintervention fielen die Makrolide auf. Diese werden seit mehr als 20 Jahren bei chronisch inflammatorischen Lungenerkrankungen eingesetzt. Ein Beispiel dafür ist die zystische Fibrose: dort konnten infektiöse Exacerbationen vermindert und die FEV-1 in der Folge gesteigert werden. Dabei gibt es Hinweise, dass die Wirkung mehr beeinhaltet als die reine antibiotische Potenz der Makrolide. Doch wie ist dabei der Wirkungsmechanismus?
Als Faktoren werden diskutiert:
– Abschwächung der inflammatorischen Reaktion in den Atemwegen durch Reduktion der Freisetzung von inflammatorischen Zytokinen durch die Epithelzellen der Luftwege. Dies konnte auch experimentell gezeigt werden: es wurde eine Kultur mit Monozyten angelegt. Nach Zugabe von Zelllysaten von E. coli und Pseudomonas wurde weniger Interleukin 8 freigesetzt, wenn Clarithromycin zugefügt wurde.
– Verbesserung der Phagozytose durch Alveolarmakrophagen
– es kommt zu einer Stabilisierung des Bronchialepithels
– Reduktion der Schleimbildung von kolonisierenden Bakterien wie z.B. Pseudomonas durch Reduktion des "quorum sensing"
Makrolid- Einsatz bei Pneumonie
Doch kommt diese spezielle Wirkung der Makrolide – neben dem genannten Effekt bei chronischen inflammatorischen Lungenerkrankungen – auch in der akuten Situation einer ambulant erworbenen Pneumonie zum Tragen? A. Witteck hatte am 23.11.2007 eine Studie vorgestellt, bei der über 1500 Patienten mit Pneumonie entweder auf Behandlung mit einer Betalactam/Makrolid- Kombinationstherapie, oder eine Fluorochinolon- Monotherapie randomisiert wurden. Dabei hatte sich bei Patienten mit schwerer Pneumonie ein Rückgang der Mortalität unter der Betalactam/Makrolid- Kombination gezeigt.
Nun könnte man diskutieren, ob die Besserung wirklich dem Makrolid, oder vielmehr dem Betalactam oder der Kombination der beiden Substanzen zuzuschreiben ist.
Zur Differenzierung dienst eine weitere, in Spanien durchgeführte Studie. Dabei hatte sich bei über 1500 Pneumoniepatienten unter Kombination von einem Betalactam mit einem Makrolid eine Mortalität von 6.9% verglichen mit 13.3% bei Monotherapie mit einem Betalaktam gezeigt.
Um auszuschliessen, dass diese Differenz durch Makrolid- Wirkung auf atypische Erreger verursacht wurde, erfolgte eine Untergruppenanalyse bei Pneumonien durch Streptokokkus pneumoniae; dort wurde die Letalität durch die Makrolid-Zugabe um das 2.5 fache reduziert (Garcia Vasquez et al, Eur J Clin Microb Chemother 2002).
Um weiter zwischen dem direkten antibiotischen Effekt und einer immunmodulatorischen Wirkung unterscheiden zu können, erfolgte ein weiterer Versuch: Erreger, die nicht in das antimikrobielle Spektrum von Makroliden fallen, führten in einem Tierexperiment zu einer Pyelonephritis und Sepsis. Die Tiere, bei denen Clarithromycin eingesetzt wurde, überlebten deutlich länger. Dabei wurde das bakterielle Gewebswachstum nicht beeinflusst, aber die entzündliche Reaktion im Gewebe zeigte sich abgeschwächt mit verminderter Infiltration von Neutrophilen und Lymphozyten. Zudem zeigte sich eine Reduktionen der Freisetzung von TNFα (Giamarellos-Bourboulis et al, Antimicrob Agents Chemother 2004).
Soweit zu den Vorüberlegungen.
Aber: kommt der immunmodulatorische Effekt der Makrolide auch bei einer Sepsis zum Tragen?
Dazu wurden 200 Patienten mit einer Sepsis im Rahmen einer ventilator- assoziierten Pneumonie (VAP) in eine Studie eingeschlossen. Zusätzlich zu der "Basis"- antibiotischen Therapie erhielten jeweils die Hälfte der Patienten ein Makrolid bzw. Placebo. Dabei zeigten sich, analog zu den vorgenannten Studien, ein rascheres Abklingen der VAP (10 Tage unter Makrolid gegen 15.5 Tage unter Placebo) sowie eine frühere Extubation (16 Tage versus 22.5 Tage). Am deutlichsten zeigte sich aber ein Unterschied bei Untersuchung der Mortalität. Dabei war die Kombination von septischem Schock mit Multiorganversagen die Hauptauslöser für Todesfälle. Bei mit Placebo behandelten Patienten zeigte sich eine Odds ratio für Todesfälle von 19, gegenüber einer Odds ratio von 3.78 bei Clarithromycin- behalten Patienten.
Gesamtbeurteilung:
Offenbar haben Makrolide einen über die reine antibiotische Wirkung hinausgehenden Effekt. Bei Atemwegserkrankungen wird dieser Effekt im chronischen Setting bereits genutzt, sowie zum Teil auch in der akuten Situation. Weitere Untersuchungen sind aber sicherlich erforderlich. Ob Makrolide auch als immunomodulierende Therapie bei der Sepsis Einsatz finden werden, wird sicherlich weitere Untersuchungen benötigen.