Einmal Herpes – immer ansteckend?
Intuitiv würde man meinen, dass die meisten HSV-Übertragungen durch Kontakte mit Läsionen erfolgen. Häufigste Übertragungsursache sind jedoch kurze Episoden asymptomatischer Virusauscheidung.
Nichtsdestotrotz sind die Virustiter viel höher und die durchschnittliche Dauer der Virusausscheidung viel länger, wenn Läsionen vorhanden sind.
Bereits 1985 sind Mertz et al. bei Patienten mit Erstmanifestation eines Herpes genitalis der Frage nachgegangen, ob die Quelle der sexuellen Übertragung symptomatisch oder asymptomatisch war. 29/66 (44%) der als Quelle identifizierten Sexualpartner hatten zum Zeitpunkt des Sexualkontakts Herpes-Läsionen. Die Mehrheit (37/66 = 56%) war zum Übertragungszeitpunkt jedoch asymptomatisch. In den 1980er Jahren bezweifelte man die Aussagekraft dieser retrospektiv durchgeführten Studie wegen eines möglichen Recall-Bias bezüglich symptomatischer Episoden bei den Quellpersonen. Zudem ging man auf der Basis von Viruskultur-Resultaten (wesentlich weniger sensitiv als die heutige PCR) davon aus, dass eine asymptomatische HSV-2-Ausscheidung bei Frauen nur an 1% der Tage und bei Männern so gut wie gar nicht vorkommt.
1992 publizierten Mertz et al. dann eine prospektive Studie mit 144 heterosexuellen Paaren, bei denen jeweils 1 Partner einen symptomatischen Herpes genitalis aufwies und der andere zu Studienbeginn noch nie einen Herpes genitalis hatte und HSV-2-negativ war. In 9,7% der Paare kam es zur Übertragung. 4 Paare (31%) gaben in dem zu führenden Tagebuch Sexualkontakt während Prodromi (1 Fall) oder innerhalb Stunden vor Auftreten erster Läsionen beim symptomatischen Partner (3 Fälle) an. In 9 Fällen (69%) erfolgte die sexuelle Übertragung zu einem Zeitpunkt, wo die Quelle asymptomatisch war.
Mittlerweile konnten PCR-Analysen zeigen, dass eine asymptomatische anogenitale HSV-Ausscheidung bei 80-90% der seropositiven Männer und Frauen zu finden ist, an ca. 20% der Tage auftritt (bei tgl. Probenentnahme) und mit noch grösserer Häufigkeit während der ersten 3 Monate nach Erstmanifestation eines Herpes genitalis vorhanden ist. Durch Behandlung mit oralem Acyclovir, Valacyclovir oder Famciclovir lässt sich die Häufigkeit der asymptomatischen Virusausscheidung reduzieren und damit auch das Übertragungsrisiko für Herpes genitalis senken. Letzteres trifft auch auf den regelmässigen Gebrauch von Kondomen zu.
In einer nächsten Monat im JID erscheinenden Studie untersuchten Mark et al. die orale Virusausscheidung bei 18 HSV-1-seropositiven gesunden Erwachsenen und die anogenitale Virusausscheidung bei 25 HSV-2-seropositiven gesundenen Erwachsenen, welche selbst 4x täglich an 60 Tagen Proben gewannen. Hintergrund für die mehrmals tägliche Probenentnahme waren mathematische Modelle, welche suggerieren, dass mehrtätige Episoden der HSV-Ausscheidung eher durch mehrere kurze, überlappende HSV-Reaktivierungen entstehen als durch eine einzige ganglionäre HSV-Reaktivierung.
Eine anogenitale Virusausscheidung wurde an 20% der Tage detektiert und die mediane Dauer war 13h. Demgegenüber wurde eine orale Virusausscheidung an 12% der Tage nachgewiesen und dauerte im Mittel 24h. Bemerkenswert ist, dass >20% der anogenitalen und oralen Reaktivierungen <=6h und 49% der anogenitalen Reaktivierungen bzw. 39% der oralen Reaktivierungen <=12h andauerten. Dies ist viel kürzer als früher angenommen und möglicherweise auf eine rasche Clearance lokaler Reaktivierungen durch HSV-spezifische CD8-T-Zellen zurückzuführen, welche in der Nähe der peripheren sensorischen Nervenendigungen verweilen (Reaktiverung des genitalen Herpes aus sakralen Ganglien und des oralen Herpes aus Trigeminus-Ganglien). Verglichen mit Studien mit nur 1x täglicher Probenentnahme war die Reaktivierungsrate für HSV-2 3x und für HSV-1 1,5x höher (18 bzw. 16,2 Reaktivierungen/Jahr verglichen mit 6 bzw. 10,8 Reaktivierungen/Jahr).
Über Läsionen wurde nur bei 3/44 (7%) der anogenitalen Reaktivierungen und 1/13 (8%) der oralen Reaktivierungen berichtet, welche <=12h andauerten. Bei kürzeren Episoden der Virusausscheidung war das Auftreten von Symptomen weniger wahrscheinlich als bei längeren (insgesamt 81% aller Herpes genitalis-Reaktivierungen asymptomatisch). Insgesamt hatten 84% der Personen, welche anogenitale Abstriche sammelten und 83% derer, die orale Abstriche gewannen, mindestens 1 PCR-positive Probe.
Conclusions:
1) Die PCR-basierte Messung der asymptomatischen HSV-Ausscheidungsrate ist ein Surrogat-Marker für das Transmissionsrisiko.
2) Eine antivirale Suppressionstherapie mit einem der HSV-DNA-Polymerase-Inhibitoren (z.B. Acyclovir, Valacyclovir oder Famciclovir) reduziert die Häufigkeit, kann jedoch die Virusausscheidung nicht vollständig unterdrücken. (Gemäss Corey et al. reduziert 1x tgl. Valacyclovir bei Personen mit bis zu 9 Herpes genitalis-Episoden pro Jahr zwar die Tage mit HSV-2-Ausscheidung um 70-85% (1x tgl. Abstrich), das Übertragungsrisiko jedoch nur um ca. 50%.)
3) Patienten mit Herpes genitalis sollten darüber aufgeklärt werden, dass die Vermeidung von Sexualkontakten bei Vorhandensein florider Läsionen allein nicht ausreicht, um eine Übertragung zu verhindern. Asymptomatische Virusausscheidung ist häufig und der häufigste Mechanismus der Übertragung auf den Sexualpartner. Sowohl eine suppressive antivirale Therapie als auch der regelmässige Gebrauch von Kondomen können das Übertragungsrisiko signifikant senken, obgleich keine der beiden Methoden einen absoluten Schutz bietet.
Quelle: Mertz, JID 2008;198:xxx
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