HIV und QT-Zeit- Verlängerung
In den letzten Jahren wurden verschiedene antiretovirale Medikamente als Auslöser einer Veränderung im EKG (QT-Zeit-Verlängerung) bei HIV- Patienten angeschuldigt, allen voran Atazanavir. Was ist dran an diesen Meldungen?
In der Herzstromkurve (Elektrokardiogramm, EKG) messen wir die Ausbreitung der Erregung im Herzen. Bei der QT-Zeit handelt es sich um die Phase der Erregungsrückbildung nach dem Herzpuls. Eine Verlängerung dieser Rückbildung kann zu Rhytmusstörungen führen.
HIV- Patienten haben häufiger eine Verlängerung der QT- Zeit als Nichtinfizierte. Einerseits wird HIV selbst als Auslöser angeschuldigt (womöglich als Folge einer autonomen Neuropathie). Andererseits können zahlreiche Medikamente die kardiale Repolarisation (Erregungsrückbildung) verlängern und somit Auslöser eines erworbenen Long- QT- Syndroms sein.
Für viele Substanzen, darunter zahlreiche Psychopharmaka und Methadon, ist dies seit langem bekannt (eine hilfreiche Übersichtsarbeit hat E. Delacrétaz 2007 im Schweizerischen Medizinischen Forum präsentiert; dabei auch Verweis auf diese hilfreiche Website: www.qtsyndrome.ch).
Aber auch die antiretrovirale Therapie wird angeschuldigt. Bereits 2002 hatte das FDA über Verlängerung der QT- Zeit, zum Teil mit Auftreten von Torsade de pointes, bei 23 Patienten berichtet, bei denen verschiedene Proteasehemmer als wahrscheinliche Auslöser gesehen wurden (genannt wurden Nelfinavir, Indinavir, Lopinavir und Atazanavir, letztere drei mit Ritonavir geboostet). Zudem wurde ein Fall publik, in dem Efavirenz eine Verlängerung der QT- Zeit (mit) ausgelöst haben könnte.
In den letzten zwei Jahren gab es einzelne Dokumentationen über Verlängerung der QT- Zeit im Zusammenhang mit der Einnahme von Atazanavir. Dabei wurde 2007 eine solche Rhythmusstörung bei einer 59jährigen HIV- Patientin beobachtet, die an Herzinsuffizienz litt und hämodialysiert wurde (Ly und Ruiz, Clin Inf Dis 2007).
Kürzlich berichteten Gallagher et al (CID 2008) über zwei jüngere HIV- Patienten ohne Nieren- und Herzanamnese und mit guter immunologischer Situation (CD4- Zellen um 400/µl). Zusätzlich zu der antiretroviralen Therapie unter Einschluss von geboostetem Atazanavir erhielten beide Patienten Methadon mit 80 bzw. 120 mg/Tag sowie Benzodiazepine. Beide entwickelten gehäufte synkopale Episoden bei ventrikulärer Tachycardie. Die antiretrovirale Therapie wurde gestoppt, aber Methadon beibehalten. Daraufhin verschwand die Verlängerung der QT- Zeit, auch nach Wiederaufnahme der Benzodiazepineinnahme. Bei einem der Patienten konnte nach Reexposition mit Atazanavir die Verlängerung der QT- Zeit wieder dokumentiert werden.
Offenbar wurde der Zusammenhang mit der Atazanavir- Einnahme als eindeutiger als unter den vorgenannten antiretroviralen Substanzen angesehen, so dass Atazanavir als bisher einziges antiretrovirales Medikament in die amerikanische QT- Zeit-„Warnliste“ aufgenommen wurde (www.qtdrugs.org). Es gibt aber auch beruhigende „Gegenstimmen“: Busti et al machten bei 21 Patienten unter Atazanavir- Therapie 2 Stunden und 1 Monat nach Therapiestart EKG- Kontrollen. Sie fanden keine Verlängerung der QT- Zeit. Aber: die Studie enthält keine Angaben, ob zusätzliche Risikofaktoren (s.o.) vorlagen (Hiv Med, 2006).
Kommentar:
- Angesichts der vielen Patienten, die seit Jahren unter den genannten HIV- Medikamenten stehen, handelt es sich um wenige Berichte.
- Die Patienten in den genannten Fallbeispielen hatten zusätzliche Risikofaktoren (Herz- und Niereninsuffizienz, Methadon)
- Für Patienten ohne zusätzliche Probleme oder Medikamente, die die QT- Zeit verlängern können, dürfte „watchful waiting“ ausreichend sein (mit rascher Abklärung bei Symptomatik).
- Bei Patienten mit einer Vorgeschichte von Herzrhythmusstörungen oder mit Einnahme von Medikamenten, die die QT- Zeit verlängern (Liste!) oder andersartig auf die Reizleitung wirkenden Medikamenten wären EKG- Kontrollen zu diskutieren. Selbstverständlich sollten Medikamentenspiegel besonders beachtet werden.