Wird das „schlechte“ Cholesterin in der HCV-Therapie zum „guten“?

Bei der Atherosklerose ist der Fall klar: LDL ist das „schlechte“ und HDL das „gute“ Cholesterin. Bei HIV/HCV-Koinfizierten sollen nun hoehere LDL-Cholesterin-Werte mit einem besseren HCV-Therapie-Ansprechen einhergehen – verkehrte Welt?

Was bereits für HCV-Monoinfizierte gezeigt wurde, hat sich nun auch bei HIV/HCV-Koinfizierten bestätigt: Höhere LDL-Cholesterin-Spiegel verbessern die Chancen für ein Ansprechen auf die HCV-Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin. (de Valle et al., AIDS 2008;22:923-30)

Von Oktober 2001 bis Februar 2005 wurde an 10 Tertiär-Spitälern in Spanien eine Kohorte von 3564 HIV/HCV-Koinfizierten verfolgt. Bei 339 (10%) der Patienten wurde in diesem Zeitraum eine HCV-Therapie mit pegyliertem Interferon (alpha-2a: 180ug/Woche bzw. alpha-2b: 1,5ug/kg u. Woche s.c.) und Ribavirin (800-1200mg/d p.o.) durchgeführt. Die Plasma-HCV-RNA wurde bei Woche 12, 24 und 48 unter Therapie sowie 24 Monate nach Therapieabschluss bestimmt. Patienten mit Genotyp 3 wurden – gemäss Entscheid des behandelnden Arztes – 48 oder nur 24 Wochen (30%) und solche mit Genotyp 1 und 4 ausnahmslos 48 Wochen therapiert. Bei Nonrespondern (<2 log HCV-RNA-Reduktion bei Woche 12 bzw. noch nachweisbare HCV-RNA bei Woche 24) erfolgte bei Woche 12 bzw. 24 der Therapieabbruch.

In einer retrospektiven Studie sollte untersucht werden, ob ein Zusammenhang zwischen den Lipid-Spiegeln zu Beginn der HCV-Therapie und einem anhaltenden Therapieansprechen (sustained virologic response = SVR = kein HCV-RNA-Nachweis 6 Monate nach Therapieabschluss) besteht. Nach Anwendung der Einschlusskriterien (Vorhandensein eines nüchtern-Lipidprofils innerhalb eines Monats vor HCV-Therapie-Beginn, HCV-Therapie-Naivität) und Ausschlusskriterien (Lipid-Senker in den letzten 3 Monaten vor HCV-Therapie-Start bzw. Neubeginn einer lipidsenkenden Behandlung während der HCV-Therapie, Triglyceride >=400mg/dl (Formel LDL=Chol.-(Triglyc/5)-HDL dann nicht mehr anwendbar)) verblieben noch 260 Patienten (Alter: 40J., 80% Männer, Genotyp 1 (53%), 2 (0,4%, nur 1 Pat.), 3 (39%), 4 (8%), HCV-RNA 5,8 log U/ml, HIV-RNA 80 Kop./ml, CD4 520/ul, ART 218/260 (84%): 100% Nukleosid-Analoga, 40% PI, 51% NNRTI)

38/154 (24%) der Patienten mit Genotyp 1 bzw. 4 und 64/101 (63%) der Patienten mit Genotyp 2 bzw. 3 erreichten eine SVR. Insgesamt konnte bei Patienten mit einem LDL-Cholesterin >=100mg/dl (2,6mmol/l) in 44% (49/111), bei Patienten mit darunter liegenden LDL-Werten hingegen nur bei 36% (53/149) eine SVR beobachtet werden (adjusted OR: 2,51; 95%-CI: 1,40-4,87; p=0,003). Diese Assoziation zeigte sich in der multivariaten logistischen Regressionsanalyse unabhängig von den übrigen positiven Prädiktoren für eine SVR: Genotyp 2 bzw. 3 (adjusted OR 6,40, p<0,001), Ausgangs-HCV-RNA<=600.000 U/ml (adjusted OR 2,36, p=0,004), mindestens 80% der geplanten Therapie-Dauer (adjusted OR 3,57, p=0,008), CD4-Zellzahl >=300/ul (adjusted OR 3,03, p=0,052) und Fehlen einer antiretroviralen Therapie (adjusted OR 2,61, p=0,026). Die Sub-Analyse für Genotyp 1 ergab: 31% SVR bei LDL >=100mg/dl (2,6mmol/l) versus 17% bei darunter liegenden Werten (adjusted OR 2,19; 95%-CI: 1,04-4,66; p=0,04). Bei Genotyp 2 bzw. 3 war mit 73 versus 58% SVR eine Tendenz in die gleiche Richtung erkennbar, wobei das Signifikanzniveau nur knapp verfehlt wurde (adjusted OR 2,71 (0,99-7,46); p=0,054). Dagegen zeigten die übrigen Lipidwerte (Gesamt-Cholesterin, HDL, Triglyceride) keine Assoziation mit dem Therapieerfolg. Ebensowenig konnte für die folgenden Variablen ein statistisch signifikanter Zusammenhang mit der SVR gefunden werden: einzelne antiretrovirale Substanzen oder Substanzgruppen (evtl. zu geringe n-Zahl), Alter, Geschlecht, BMI, Leberfibrose, Interferon-Typ und Ribavirin-Dosis/kg.

Interessanterweise hatten Patienten mit Genotyp 1 bzw. 4 signifikant höhere Gesamt-Cholesterin-Werte (174 vs.155mg/dl (4,5 vs. 4mmol/l), p<0,001) und signifikant höhere LDL-Werte (94vs. 85mg/dl (2,4 vs. 2,2mmol/l)), p=0,002) als Patienten mit Genotyp 2 bzw. 3. HCV-Genotyp 3 interferiert offenbar mit der Cholesterin-Synthese in Hepatozyten, was eine verminderte Cholesterin-Konzentration im Serum zur Folge hat (Hofer et al., Am J Gastroenterol 2002;97:2880-85).

Schlussfolgerung:

Höhere LDL-Cholesterin-Werte (>=2,6mmol/l) sind somit ein positiver Prädiktor für einen anhaltenden Therapieerfolg (SVR), wenn bei HIV/HCV-Koinifzieren eine HCV-Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin durchgeführt wird.

Diskussion:

Gesamt- und LDL-Cholesterin sinken mit zunehmender Schwere der Lebererkrankung (Cicognani et al., Arch Intern Med 1997;157:792-96). Ausserdem ist die Tolerabilität der HCV-Therapie bei fortgeschrittener Leberfibrose bzw. -zirrhose reduziert, was mit einer verminderten SVR-Rate einhergeht. Somit könnte man das LDL-Cholesterin als Confounder betrachten, welcher lediglich das Vorhandensein einer fortgeschrittenen Lebererkrankung reflektiert. Dagegen spricht jedoch, dass das Fibrosestadium keinen signifikanten Einfluss auf die SVR zeigte.

Der Mechanismus, über den hohe LDL-Werte das Ansprechen auf eine HCV-Therapie mit pegyliertem Interferon und Ribavirin verbessern, ist unklar. Der LDL-Rezeptor fungiert (neben anderen) als HCV-Rezeptor, weshalb sich in vitro LDL und HCV am LDL-Rezeptor kompetitiv verhalten (Agnello et al., PNAS 1999;96:12766-71). Damit übereinstimmend findet sich eine negative Korrelation zwischen HCV-Ag-Serum-Spiegel und Beta-Lipoprotein-Konzentration im Serum (Enjoji et al., Med Sci Monit 2000;6:841-44). Interferon führt zu einer Herunterregulation der LDL-Rezeptoren (Kapadia et al., PNAS 2005;102:2561-66), wohingegen Statine das Gegenteil bewirken (Cholesterinsynthese-Hemmung → kompensatorisch vemehrte LDL-Rezeptor-Expression an der Zelloberfläche). Die Regulation der LDL-Rezeptor-Expression auf Monozyten geht mit der auf Leberzellen parallel. Bei der flowzytometrischen Quantifizierung der LDL-Rezeptoren auf der Zelloberfläche von Monozyten einer frischen nüchtern-Blutentnahme fand sich eine signifikante negative Korrelation mit dem LDL-Cholesterin (r=-0,25; p=0,03) und eine ebenfalls signifikante positive Korrelation mit der HC-Viruslast (r=0,37; p=0,002) (Petit et al., Am J Physiol Endocrinol Metab 2007; 293(1):E416-20).

Sollen wir also eine Statin-Behandlung während der HCV-Therapie vermeiden, vorzugsweise Proteasehemmer mit schlechtem Lipidprofil (erhöhte LDL-Werte) einsetzen und unsere Patienten auffordern, sich möglichst Cholesterin-reich – also ungesund – zu ernähren? Wie diverse klinische und Zellkultur-Studien zeigen, ist ein besseres HCV-Therapieansprechen infolge höherer LDL-Spiegel erwartungsgemäss nicht die ganze Wahrheit. Insulinresistenz (ebenfalls eine Proteaseshemmer-Nebenwirkung) (Nasta et al., AIDS 2008;22:857-61), Hyperurikämie (Pellicano et al., J Med Virol 2008;80(4):628-31) und Metabolisches Syndrom (Hanouneh et al., Clin Gastrol Hepatol 2008;6(5):584-9) wirken sich negativ auf das Therapieansprechen aus und die das LDL-Cholesterin senkenden Statine zeigen vor allem in vitro, aber auch in ersten klinischen Studien erstaunlicherweise einen anti-HCV-Effekt.

Statine und HCV

Zellkultur-Experimente:

Ikeda et al. haben ein Zellkultursystem entwickelt, in dem Hepatozyten mit einem Konstrukt aus HCV-Genotyp 1b und Luziferasereportergen infiziert sind. Die HCV-Replikation kann dabei als Luziferaseaktivität gemessen und somit deren Beeinflussung durch verschiedene Substanzen recht einfach untersucht werden. Mit Ausnahme von Pravastatin (Ursache unklar, evtl. Zusammenhang mit aussergewöhnlichem Effekt auf Cytochrom P450-Induktion) erwiesen sich sämtliche Statine als Inhibitoren der HCV-Replikation (Pitavastatin > Fluvastatin > Simvastatin/Atorvastatin > Lovastatin). Bei Kombination mit Interferon alpha fand sich ein synergistischer Effekt. (Ikeda et al., J Pharmacol Sci 2007;105:145-50; Ikeda et al., Hepatology 2006;44:117-125)
Statine führen über die Hemmung der HMG-CoA-Reduktase nicht nur zu einer verminderten Cholesterin-Synthese, sondern die fehlende Mevalonat-Bildung hat auch eine verminderte Synthese von Geranylgeranyl- (GGPP, C20) und Farnesyl-Pyrophosphat (FPP, C15) zur Folge. Dabei handelt es sich um lipophile Zwischenprodukte der Cholesterin-Synthese, welche durch die Geranylgeranyl- bzw. Farnesyltransferase an Proteine mit einer bestimmten Erkennungssequenz angehängt werden und damit deren Membranverankerung vermitteln. Der hemmende Effekt der Statine auf die HCV-Replikation wurde durch Zugabe von Mevalonat bzw. GGPP (nicht jedoch FFP) wieder aufgehoben und konnte durch einen Geranylgeranyltransferase-Inhibitor (nicht jedoch Farnesyltransferase-Inhibitor) imitiert werden. Somit scheinen für die HCV-Replikation, welche am endoplasmatischen Retikulum der Wirtszelle stattfindet, ein oder mehrere geranylgeranylisierte Proteine essentiell zu sein. (Ye et al., PNAS 2003;100:15865-70) Als ein solches wurde kürzlich das Wirts-Protein FBL2 identifiziert, welches an den NS5A-Teil von HCV bindet. (Wang et al., Mol Cell 2005;18:425-34)

Erste klinische Studien:

In einer Pilotstudie an 10 Patienten (Indikation für Statin-Therapie aufgrund erhöhter Cholesterinwerte gegeben, BMI 29, 80% Genotyp 1, HCV-RNA 6,0 log U/ml) hatte eine 3monatige tägliche Einnahme von 20mg Atorvastatin zwar eine Reduktion des LDLs von 150,7 auf 100,6mg/dl zur Folge, als Monotherapie jedoch keinen Effekt auf die HCV-Replikation (95% Power für 1 log-Senkung der HCV-RNA). Als mögliche Erklärung wurde diskutiert, dass die nach peroraler Einnahme von 20mg Atorvastatin zu erreichenden Plasma-Spitzenspiegel mit 2,5×10-3 uM um 3 Zehnerpotenzen niedriger liegen als die in den Zellkulturversuchen verwendete Konzentration von 5uM (O’Leary et al., Hepatology 2007;45:895-98). Allerdings unterliegen Statinen in hohem Masse einem First-Pass-Metabolismus in der Leber, weshalb weniger als 5% der oral applizierten Dosis die periphere Zirkulation erreichen. Aufgrund ihrer Akkumulation in der Leber sind die erzielten Plasmaspiegel möglicherweise aber gar nicht so entscheidend.
Hingegen führte das im Zellkultur-Modell potentere Fluvastatin als Monotherapie in einer täglichen Dosierung bis zu 80mg in einer Studie an Kriegsveteranen bei 11/22 (50%) der Patienten zu einer Verminderung der HCV-RNA, welche in der Mehrzahl der Fälle (9/11) bereits nach 4 Wochen auftrat und bei 7/9 für 2-5 Wochen anhielt. Der Effekt war jedoch insgesamt nur moderat, sehr variabel und meist kurzdauernd (maximale Reduktion: 1,75 log U/ml innert 1 Woche; nur in 22% (2/19) anhaltende HCV-RNA-Reduktion am Studienende nach 3 Monaten). (Bader et al., Am J Gastroenterol 2008).

Möglicherweise wird der in vitro gezeigte hemmende Effekt der Statine auf die HCV-Replikation in vivo durch eine vermehrte Expression von LDL-Rezeptoren und damit ein vermehrtes Eindringen von HC-Viren in die Hepatozyten wieder ausgeglichen. Der Zusammenhang zwischen Lipid-Metabolismus und HCV lässt also noch einige Fragen offen. Vielleicht wäre die gezielte Geranylgeranyl-Transferase-Hemmung ein möglicher Ansatz.

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