HIV – Pille davor. Was, wenn sie nützt?

Zur Zeit laufen Studien, welche untersuchen, wie ein HIV-Medikament – präventiv eingesetzt – eine HIV-Infektion verhindern könnte. Falls es klappt, hat dies weitreichende Konsequenzen.

In der IAS-HIV-Ausgabe des Lancet wird diese Frage vertieft diskutiert. Eine Medikamentöse Prophylaxe zur Vorbeugung einer Infektion ist in anderen Bereichen Standard, so zum Beispiel die Malariaprophylaxe bei Tropenreisen. Die Post-Expositionsprophylaxe (4 Wochen Therapie nach einem Kontakt) schützt zu über 80% vor einer Infektion. Je kürzer der Abstand zwischen Exposition und Therapiebeginn, desto besser die Wirkung. Ist es daher nicht trivial anzunehmen, dass eine Tabletteneinnahme vor der Exposition noch besser schützen würde?

Studien sind unterwegs
Die entsprechenden klinischen Studien sind aktuell unterwegs. Eine Phase II studie bei 936 weiblichen Sex-Workers hat gezeigt, dass die Nebenwirkungsrate einer Tenofovir-Behandlung mit Placebo vergleichbar ist (Peterson 2007). Drei Phase III Studien sind unmittelbar vor dem Start in Thailand (TDF, Drogensüchtige), Botswana (TDF+FTC, heterosex. Frauen und Männer) sowie Peru und Equador (TDF+FTC, homosexuelle Männer). Die ersten Resultate dürften nicht vor Ende 2008 zu erwarten sein.

Pille statt Kondom?
Doch die Resultate werden kommen, und sie könnten eine Wirkung der medikamentösen Prophylaxe zeigen. Was dann? Pille statt Kondom für jeden? Sicher nicht. Die Anwendung wird nicht einfach sein, auch nicht billig. Eine Grundvoraussetzung ist, dass sichergestellt werden sollte, dass keine HIV-Infektion vorliegt. Dies würde einer Monotherapie (oder Bi-Therapie im Falle von TDF+FTC) gleichkommen, was ein Resistenzproblem verursachen könnte. Auf der anderen Seite wissen wir von Menschen, die sich auch nach intensivsten Beratungsgesprächen einem relevanten HIV-Infektionsrisiko aussetzen. Sollen diese nicht geschützt werden?

Risikoverhalten und Ethische Bedenken
Eine grosse Sorge des Einsatzes einer Pille davor ist eine mögliche Zunahme des Risikoverhaltens. Mathematische Modelle zeigen, dass dies den Effekt einer Pille davor zunichte machen könnte. Andererseits zeigen Erfahrungen bei der Postexpositionsprophylaxe keine solche befürchtete Zunahme des Risikoverhaltes. Doch der Einsatz würde dennoch zahlreiche ethische Probleme offen lassen. Einige Kreise fordern, dass eine Prä-expositionsprophylaxe nicht Sexarbeiter oder Drogensüchtige abgegeben werden dürfe, da man damit das "unmoarlische" oder "illegale" Verhalten akzeptieren würde. Die Autoren dieses Viewpoint-Artikels im Lancet stellen sich entschlossen gegen solche moralisierenden Tendenzen und zeigen klar, dass es Aufgabe der öffentlichen Gesundheit sein muss, die am meisten gefährdeten Menschen gegen Infektionen zu schützen.

Es gibt nicht nur HIV
Natürlich darf in der ganze Debate auch nicht vergessen werden, dass es nicht nur HIV gefährlich sein kann. Genauso, wie eine Pille davor den Drogensüchtigen nicht gegen Hepatitis C schützen wird, werden damit auch sexell aktive Personen vor einer anderen Geschlechtskrankheit nicht geschützt. Persönlich denke ich aber, dass eine Pille davor in einer HIV-diskordanten Partnerschaft (ein Partner positiv) durchaus einen berechtigten und sinnvollen Einsatz finden wird. Einen ersten Schritt machen wir ja bereits in unserem Kinderwunschprogramm.

Quelle: Paxton et al, Pre-exposure prophylaxis for HIV infection: what if it works? Lancet 2007; 370:89-93