Kriminalisierung von HIV-Positiven

In einer der letzten Ausgaben des BMJ erschien ein lesenswertes Editorial zur Entwicklung der Legislative in Grossbritannien, im Zusammenhang mit der Verurteilung von HIV-positiven Menschen. Die Ueberlegungen lassen sich auch auf die Schweiz uebertragen.

Der Hintergrund der Problematik lässt sich am besten mit dem folgenden Zitat aus dem Editorial darstellen:

"People infected with HIV who are taking antiretroviral treatment are able to live relatively healthy lives, but those whose infection remains undiagnosed still face serious illness and death. There has never been a stronger imperative to encourage individuals at risk to come forward for testing so they can access treatment. In the face of a rapidly rising prevalence of HIV infection, there is an equally strong imperative for preventing transmission. This includes support for those infected, helping them work out how to avoid exposing their sexual partners to infection and dealing with the challenges this may involve."

Das Dilemma:
Das Problem liegt in der Frage, wer für die Verhinderung von HIV-Transmissionen verantwortlich ist. Die aktuelle Rechtssprechung hat die Verantwortung vollständig der Infizierten Person übertragen. So wird in der Schweiz der Artikel 231 des Strafgesetzbuches so interpretiert, dass sich eine HIV-positive Person strafbar macht, wenn sie wissentlich mit einem Partner ungeschützten Geschlechtsverkehr hat. Dabei ist es für das Gesetz irrelevant, ob der HIV-neg. Partner über die Infektion informiert war. Nur die HIV-positive Person wird wegen versuchter Verbreitung einer gefährlichen Infektionskrankheit verurteilt, das "Delikt" wird sogar als Offizialdelikt eingestuft.

Kriminalisierung verhindert HIV-Testung
Die Autoren des Editorials geben zu bedenken, dass diese einseitige Kriminalisierung der HIV-positiven die Stigmatisierung der Betroffenen erhöht. Das Resultat ist, dass Menschen sich wieder weniger häufig auf HIV testen lassen, als dies noch vor einigen Jahren der Fall war. Genau diese Tendenz läuft aber den Präventionsbestrebunge, wie wir sie auch für die Schweiz anstreben, diametral entgegen. Wenn mein Verhalten lediglich durch das Wissen meines HIV-Serostatus kriminell wird, dann wird es manchen geben, der für sicht entscheidet, lieber nicht getestet zu werden.

HIV-positiv heisst nicht infektiös!
Das Brisante an der ganzen Entwicklung ist insbesondere, dass das Gesetz und auch die Rechtssprechung nicht unterscheiden zwischen HIV-positiv mit hoher oder niedriger Infektiosität. Wir gehen heute davon aus, dass HIV-positive Menschen, die eine gut wirksamen Therapie haben, auch ohne Kondom ihren Partner besser schützen als Menschen, welche nur ein Kondom benutzen (ohne Therapie). Das Gesetz macht auch keinen Unterschied bei Menschen (sog. Langzeit-Non-Progressoren), welche auch ohne Therapie gar keine Virusvermehrung im Körper haben.

Auch HIV-negative Menschen tragen Verantwortung
Wir sind der Meinung, dass die Prävention von HIV eine Aufgabe der Gesellschaft ist. Wir gehen einig mit den Autoren des Editorial, dass wir Menschen mit HIV befähigen müssen, mit ihrer Infektion verantwortungsbewusst umzugehen. Genau das ist auch Teil unserer Beratung von HIV-positiven Menschen. Gleichzeitig halten wir aber auch fest, dass sich auch die HIV-negativen Partner an der Verantwortung beteiligen sollten. Es kann heute niemand mehr sagen, dass er/sie nicht gewusst habe, dass er/sie sich beim ungeschützen Geschlechtsverkehr mit HIV infizieren könnte. Auch eine HIV-negative Person ist also in der Pflicht, die Übertragung dieser Infektionskrankheit zu verhindern.

Quelle: Lowbury and Kinghorn, BMJ 30.Sept. 2006, S. 666