Endokarditisprophylaxe: to do or not to do?
Einen spannenden Artikel haben französische Autoren im Clinical infectious diseases publiziert. Es geht um die antibiotische Endokarditisprophylaxe bei Zahneingriffen. Wir empfehlen sie allen Menschen mit vorbestehtenden valvulären Herzerkrankungen seit 1955, aber richtig untersucht wurde das nie, und die Daten auf die wir uns abstützen, haben wir aus Tiermodellen. Eine klare doppelblind randomisierte Studie wurde zu diesem Thema nie durchgeführt.
Um das Risiko einer infektiösen Endokarditis (IE) nach einem Risiko-Zahneingriff abzuschätzen, haben die Autoren sich folgender Formel bedient: Anzahl IE nach Risikozahneingriffen bei Pat. mit prädisponierender valvulärer Herzkrankheit (PVH)/ Anzahl Risiko-Zahneingriffe bei PVH.
Die Anzahl von Patienten mit PVH und Risikozahneingriffen (also der Nenner) wurde mittels zweier prospektiven Langzeitstudien (CANEVAS und PAQUID) erhoben und die Anzahl von IE nach Risikozahneingriffen bei PVH (also der Zähler) wurde mittels einer 1999 durchgeführten epidemiologischen Studie über IE in einem Gebiet mit 16 Millionen Einwohnern errechnet, und dann auf die Gesamtpopulation von Frankreich extrapoliert.
Die berrechnete Inzidenz einer IE ist 460 auf 1’000’000 für Patienten mit nativen Klappen und PVH, und 980 auf 1Mio für prothetische PVH. Diese Werte decken sich mit anderen Literaturangaben. Das altersspezifische Risiko einer prädisponierenden Herzerkrankung zeigt sich in untenstehender Abbildung.
Insgesamt war das Risiko eine IE nach Risikozahneingriff zu entwickeln:
- ohne Prophlyaxe: 1 : 46’000
- mit Prophylaxe: 1 : 149’000
Von den 1370 IE in Frankreich in einem Jahr, können vermutlich nur 37 auf ein Zahneingriff ohne Prophylaxe zurückgeführt werden.
Das heisst: Eine Prophylaxe schützt vor IE. Doch das Gesamt-Risiko nach einem Risiko-Zahneingriff eine IE zu entwickeln ist relativ klein. Um eine einzige IE mittels antibiotischer Prophylaxe zu vermeiden müssen sehr viele Menschen behandelt werden.
Die Autoren postulieren, dass man die Richtlinien der IE-Prophylaxe eventuell neu evaluieren sollte. Es könnte sinnvoll sein, die Endokarditis-Prophylaxe auf high-risk Patienten zu beschränken. Dies ist sicher eine interessante Fragestellung, denn das Risiko bei Zahneingriffen ist in der Grössenordnung des Risikos, wie es schon bei alltäglichen Tätigkeiten (z.B. Zähneputzen) besteht. Für eine routinemässige Prophylaxe ist die Inzidenz doch sehr gering.
Dieser Artikel lässt dann auch die immer wieder gestellte Frage nach der Prophylaxe bei Knie- oder Hüftprothesen in den HIntergrund treten, denn hier braucht es zur Verhinderung einer Infektion, noch viel mehr Einsatz von prophylaktischen Antibiotika als für eine Endokarditis. Lesen Sie zu diesem Thema auch die Richtlinien der schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie.
Duval et al ; CID 2006: Estimated Risk of Endocarditis in Adults with Predisposing Cardiac Conditions Undergoing Dental Procedures With or Without Antibiotic Prophylaxis
Schweizerische Empfehlung für Endokarditisprophylaxe; SMW 2000
Schweizerische Empfehlung für Prophylaxe hämatogener Spätinfektionen von Gelenksprothesen, SMW 2004