HIV und Kinderwunsch – auch ohne künstliche Befruchung?

In den meisten Europäischen HIV Behandlungszentren werden HIV-positive Patienten mit Kinderwunsch an eine spezialisierte Fertilitätsklinik überwiesen. Die HIV-infizierten Zellen und freie Viren werden im Sperma des Mannes entfernt und die Spermien der Frau durch einen Kathether in die Gebärmutter eingeführt.

In der Ausgabe der Zeitschrift AIDS vom 28.2.06 stellen wir die Frage, ob wir HIV dislordante Paare mit Kinderwunsch immer adäquat beraten. Als die Inseminationsmethode anfangs der 90-er Jahr von Semprini in Mailand eingeführt wurde, ahnten wir noch nichts von der bevorstehenden hochaktiven HIV-Therapie (HAART). Mit der Methode wollte man verhindern, dass ein HIV-positiver Mann bei der Erfüllung des Kinderwunsches seine Partnerin ansteckt.

Heute hat sich die Situation drastisch geändert. In St. Gallen führen wir die Inseminationsbehandlung seit 1996 durch. Seit 1999 sahen wir kein einziges Paar mehr, bei dem der Mann zum Zeitpunkt der Behandlung noch nachweisbares Virus im Blut hatte. Wie wichtig ist dann in diesem Zustand der unterdrückten Virusvermehrung beim Partner die Aufbereitung der Spermaproben? Kann es überhaupt zur Transmission kommen. Wir wissen es nicht, doch wir wissen, dass das Risiko einer Infektion sehr gering ist. Bis jetzt wurde kein einziger Fall einer Infektion dokumentiert, bei dem eine Person mit vollständig supprimierter Viruslast die Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr übertragen hat. 

Das Risiko, sich bei einem Partner, der eine optimale Therapie einnimmt zu infizfieren, ist somit sehr klein. Ein theoretisches Risiko, welches in der Nähe von Null liegt. Und in dieser Situation empfehlen wir den Paaren also eine Inseminationsbehandlung, immer mit der Vorstellung (vor allem in den Köpfen der Paare), man müsste ein grosses Risiko reduzieren.

Wäre die Inseminationsbehandlung so einfach, wäre dies auch kein grösseres Problem. Doch für viele Paare ist die Inseminationsbehandlung kein gangbarer Weg. Sie ist zu teuer, zu technisch oder einfach logistisch zu aufwändig. So kommt es, dass mindestens ein Drittel der Paare nach der Beratung gar nie anfangen, und nur gut 30% können den Kinderwunsch erfüllen.

Was bleibt ist eine grosse Zahl von Paaren, die mit der Frustration, kein Kind haben zu können, leben müssen. Oder eben, wie es die Realität zeigt, sie versuchen es durch ungeschützten Geschlechtsverkehr. In dieser Situation haben wir vor zwei Jahren angefangen, diese Paare systematisch zu beraten, wie sie ihr Risiko auch sonst noch reduzieren können. Diese Beratung kommt gut an. Die Paare lernen, ihr Risiko realistischer abzuschätzen und reduzieren mit den empfohlenen zusätlichen Massnahmen das bereits minimale Risiko weiterhin. Und was uns immer wieder überrascht: die Schwangerschaftsrate scheint auf natürlichem Wege recht hoch zu sein.

Natürlich sind wir gespannt, wie nun die Fachwelt auf diese Publikation reagiert. Gerne erwarten wir auch die Kommentare unserer Leser in unserem Forum.

 

Quelle: Vernazza et al, AIDS 2006 Feb 28;20(4):635-636.HIV-discordant couples and parenthood: how are we dealing with the risk of transmission?

siehe auch Vortrag: Licence to love: Der unerfüllte Kinderwunsch