Tamiflu und resistente Viren: Prävention ist wichtig!

tamiflu.jpg In der heutigen Ausgabe des NEJM findet sich ein Artikel über die Resistenzentwicklung von Influenza H5N1 gegenüber Tamiflu. Eine besorgniserregende Mitteilung oder nicht?

Der Artikel berichtet über zwei Fälle, bei welchen unter der Behandlung mit Tamiflu(R) (Oseltamivir) eine Resistenzentwicklung aufgetreten ist. Die Medien berichteteten auch darüber. Das Auftreten einer Oseltamivir-Resistenz von Influenza Viren ist nichts neues. Wir berichteten bereits über einen Einzelfall aus Indonesien, wo ebenfalls unter einer Oseltamivir-Therapie ein resistentes H5N1 Influenza-Virus augetreten ist (s. Bericht). Die Relevanz, resp. die Häufigkeit eines solchen Resistenzproblems ist unklar.

In der vorliegenden Arbeit von de Jong et al. aus Vietnam (HoChiMin City) konnten aus insgesamt 13 Patienten mit gesicherter H5N1-Influenza acht Patienten untersucht werden, bei welchen vor Beginn der Tamiflutherapie und im späteren Verlauf ein Nasenabstrich für eine Virusdiagnostik abgenommen wurde. Bei zwei von diesen sieben Patienten fand sich im Verlauf unter der Therapie ein Oseltamivir-Resistentes Virus. Beide Patienten verstarben.

Eindrückliche Fallbeschreibung:
Die erste Patientin war ein 13-jähriges Mädchen, dessen Mutter 1 Tag vor Symptombeginn beim Mädchen an H5N1-Influenza verstarb. Das Mädchen war hochfebril bei der Hospitalisation und erhielt vom ersten Hospitalisationstag an Oseltamivir (Tamiflu). Das Mädchen erhielt eine zweite Dosis (75mg bei 28kg KG, also volle Erwachsenendosis!) 6 Stunden nach der ersten und eine weitere Dosis nach 24 Stunden und dann 12-stündlich während 5 Tagen. In den ersten 3 Tagen war der Verlauf stabil, doch dann trat eine Verschlechterung ein und das Mädchen starb am 6. Hospitalisationstag. Zu diesem Zeitpunkt fand sich ein resistentes H5N1 Virus im Respirationssekret.

Auch die übrigen 7 Patienten wurden vom ersten Tag der Hospitalisation an mit Oseltamivir (Tamiflu) behandelt. Eine Resistenzentwicklung fand sich bei insgesamt 2 der 8 Patienten (der geschilderte Fall des Mädchens eingeschlossen). In der untenstehenden Abbildung ist der Verlauf der Viruslast (semiquantitativ, Nasppharyngealabstrich) dargestellt.

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Resistenzentwicklung häufig:
Eine Resistenzentwicklung bei 2 von 8 Patienten unter korrekt durchgeführter Therapie ist wohl ein grösseres Problem. Aus der Abbildung wird schon sehr gut ersichtlich, dass eine Resistenz dort entsteht, wo eine hohe Viruskonzentration vorliegt. Dies erklärt wohl auch, weshalb wir bei diesen 8 Patienten eine höheres Resistenzrisiko finden als bei einer "normale" Influenza. Die Infektionen mit der aviären H5N1 sind als sehr virulente Infektionen bekannt. Bei den Vögeln zeichnet sich das Virus dadurch aus, dass es nicht nur den Respirationstrakt, sondern praktisch alle Organe befallen kann. Die dafür verantwortliche Mutation könnte auch beim Menschen eine hohe Virulenz und Viruskonzentration erklären.

Eine Resistenz entsteht durch Mutation in der Virus-Erbsubstanz. Es genügt dazu eine einzige Mutation. Dies kann bei jedem Vermehrungsschritt des Virus geschehen. Je mehr Virusveremehrung (Konzentration), desto höher das Risiko einer Resistenzentwicklung. Es ist also durchaus möglich, dass dieses Virus sich deutlich schlechter mit Tamiflu behandeln lässt als ein normales Grippevirus.

Doch damit hat Tamiflu seinen Wert für eine Influenza-Pandemie nicht verloren. Der wichtigste Einsatz der Substanz ist in der Prävention. Dort geht es darum, die Übertragung von ganz wenigen Viren (im Einzelfall) zu verhindern. Allgemein gilt, dass in der Präventionsbehandlung mit antiviralen Medikamenten die Resisttenzentwicklung kein wesentliches Problem darstellt (geringe Viruskonzentration). Die präventive Abgabe von Tamiflu muss daher der wichtigste Einsatz von Tamiflu in der Pandemiesituation darstellen.

Quelle: de Jong et al, NEJM, 22.12.2005; 353;2667

In derselben Ausgabe des NEJM zwei weitere Kommentare:
Moscona: Editorial über Oseltamivir Resistenz
Brett & Zuger: Diskussion der Abgabe von Oseltamivir an Gesunde durch Ärzte: Klarer Standpunkt, wonach dies nicht im Sinne der öffentlichen Gesundheit sei!

Ein Interview mit der Editorialistin Anne Moscona ist ebenfalls direkt verfügbar (klicken Sie hier). Darin spricht Moscona über die Bedeutung dieser Resistenz und über die Konsequenzen für den Einsatz dieser Medikamente. Insbesondere ist es wichtig, dass die Medikamente nicht an Patienten "im Voraus" abgegeben werden und dass der optimale Einsatz dieser Medikamente als Massnahme für die öffentliche Gesundheit gut geplant und durchgeführt werden muss.