Tamiflu – Sorgfältiger Einsatz einer rezeptpflichtigen Substanz!
Die Medien peitschen seit Wochen den Namen Tamiflu in unser aller Köpfe und mittlerweile können sich die Apotheken vor der Nachfragen nach der "Wunderwaffe" mit dem Wirkstoff Oseltamivir kaum mehr retten. Doch können wir im Fall einer Pandemie wirklich auf dies Medikament zählen? Ist es gerechtfertigt, das Medikament unkontrolliert an Fernostreisende und andere Personen abzugeben?
In der heutigen Arena-Sendung zum Thema Vogelgrippe hätte fast etwas der Eindruck entstehen können, man sollte Tamiflu, ein Neuraminidasehemmer zur Behandlung von Influenza-Infektionen möglichst an alle Personen abgeben.
Doch die Vertreter des Bundes haben – wie uns schien recht vertrauenswürdig – den Einsatz von Tamiflu ins richtige Licht gestellt. Tamiflu ist ein rezeptpflichtiges Medikament, welches nicht einfach nach Gutdünken durch Patienten selbst eingenommen werden soll. Wie Etzel Gysling richtigerweise betonte, soll die Substanz nicht an Schwangere oder Säuglinge abgegeben werden. Noch unangenehmer wäre die unterdosierte Einnahme der Substanz zur Therapie. Die Gefahr, die daraus resultiert, wäre die rasche Entstehung von Resistenten Viren, ein global fatales Ereignis.
Dass dies tatsächlich befürchtet werden muss zeigt ein Fallbereicht in der online-Version der Zeitschrift Natrue (Ausgabe vom 20. Oktober). Ende Februar dieses Jahres wurde bei einer 14-jährigen Jugendlichen aus Vietnam ein gegen Tamiflu resistenter H5N1-Influenza Virusstamm isoliert.
Die junge Frau war während gut 10 Tagen (erst prophylaktisch mit 1x75mg, dann therapeutisch mit 2x75mg) mit Tamiflu behandelt worden und konnte anschliessend gesund aus dem Spital entlassen werden. Sie selbst hatte nie Kontakt mit Geflügel. Pikant ist die Tatsache, dass sie vorgängig ihren 21-jähriger Bruder, der an einer Infektion mit dem gleichen Virus erkrankt war gepflegt hatte.
In beiden Fällen wurde eine Mutation der Neuraminidase an Position 274 (Tyrosin statt Histidin) nachgewiesen, einer Veränderung, die bekanntlich zu einer Resistenz gegenüber Tamiflu führt. Die genaue Untersuchung des Virus ergab eine fast 10-fach über dem Normalwert liegenden IC50 (=Konzentration, die notwendig ist um 50% der Virusvermehrung in Zellkulturen zu verhindern). Hingegen blieb das Virus sensibel für Zanamivir (Relenza), einem anderen Neuraminidasehemmer der Firma GSK.
Es ist durchaus möglich, dass die junge Frau bereits infiziert war, als sie mit der (zur Therapie unterdosierten) Prophylaxe-Dosis behandelt wurde.
Dieses Beispiel ist in zweierlei Hinsicht bedeutend, denn es zeigt zum einen die wahrscheinliche Übertragung von Mensch zu Mensch. Dies kann offenbar vorkommen, doch im Moment ist es eine Rarität und in beiden beschriebenen Fällen (wir berichteten schon über den ersten Fall) handelte es sich um eine Übertragung innerhalb der Familie. Möglich, dass genetische Faktoren dabei eine Rolle spielten.
Der zweite Punkt ist, dass wir den Einsatz von Tamiflu sehr gut unter Kontrolle halten sollten, wenn wir die Entstehung von resistenten Viren verhindern wollen. Denn auch hier gilt – wie bei der HIV-Infektion – "hit early and hit hard". Und ein weiterer Punkt, der in der genannten Arena-Sendung viel zu wenig zum Ausdruck kam: Der grosse Nutzen der Neuraminidasehemmer in der Pandemie-Prophylaxe liegt im prophylaktischen Einsatz. Denn wenn gesunde Menschen prophylaktisch behandelt werden, dann gibt es nur eine geringe Virusvermehrung und somit auch kaum eine Gelegenheit für das Virus, gegenüber Tamiflu eine Resistenzmutation aufzubauen.
Quelle: Nature