Varizellen Impfung: Vorteilhaft auch für Erwachsene?

Für eine Varizellen-Impfung im Adoleszenten-Alter gibt es viele gute Gründe. Eine Amerikanische Arbeit suggeriert, dass eine erneute Impfung bei über 60-jährigen ebenfalls vorteilhaft sein dürfte.

Wie alle Herpesviren ist auch das Varizella-Zoster Virus (VZV) sehr gut an seinen Wirt, den Menschen, adaptiert. Praktisch alle Menschen werden mit dem Virus infiziert und wir tragen es, ohne weitere Probleme, den Rest unseres Lebens mit uns.

Eigentliche Probleme mit dem VZV kennen wir lediglich in 3 Situationen:

  • Die Infektion erfolgt erst im Erwachsenenalter
  • Das zelluläre Immunsystem ist geschädigt
  • Schmerzen (Neuralgie) im Anschluss an eine Gürtelrose (v.a. bei >60-j. Menschen)

Die VZV Primoinfektion (Varizella, "wilde Blatern") im Kindesalter ist harmlos. Erfolgt die Infektion im Erwachsenenalter, kann sie mit schweren, sogar letalen Komplikationen (v.a. Pneumonie) verlaufen. Siehe dazu unseren Beitrag vom April 03.

Im Rahmen einer Immunsschwäche (HIV-Infektion, Immunsuppressive Therapie) können Komplikationen auftreten. Häufig ist eine Gürtelrose (in vergleichsweise jungem Alter) aber auch disseminierte Varizellen und Pneumonien kommen vor. Deshalb wird nicht immunem Spitalpersonal vor Kontakt mit Immunsupprimierten Personen eine VZV-Impfung empfohlen (s. Bericht 2/05).

Die post-herpetische Neuralgie betrifft den dritten Problemkreis. Die Inzidenz Zostereigentliche Gürtelrose klingt in der Regel problemlos ab. Doch bei älteren Menschen bleiben oft hartnäckige, über viele Monate dauernde Schmerzzustände.  Die antivirale Therapie vermag diese Neuralgien etwas zu verkürzen, doch verhindern lassen sie sich keineswegs (s. auch den Herpes-Vortrag, Dia 47 u.48).

In einer Amerikanischen randomisierten doppelblinden Multizenterstudie (Oxman et al, NEJM 2005) wurde die Frage geprüft, ob eine VZV-Impfung bei über 60-jährigen das Auftreten eines Zosters und die damit verbundenen Beschwerden reduzieren könnte. In diese grosse Studie wurden über 38"000 Personen eingeschlossen. Eine Gürtelrose fand sich bei 315 Personen in der geimpften Gruppe und 642 unter Placebo (Reduktion 51%). Auch die postherpetische Neuralige war signifikant geringer in der geimpften Population (27 vs. 80 Fälle, Reduktion 67%).

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass die Re-Exposition im Alter mit dem VZV-Virus eine wichtige Grundlage für die Verbesserung der Immunantwort ist. Man muss zwar sehr viele Menschen (ca. 60) impfen, um eine Gürtelrose zu vermeiden, doch die damit verbundenen Schmerzen dürften ein gutes Argument für die Impfung sein. Möglich, dass man mit einer einmaligen Impfung im Alter sogar eine kosteneffiziente Massnahme zur Verfügung hat. Der Editorialist macht eine grobe  "Quality-adjusted life year" Berechnung und meint, dass sich die Verhinderung eines Zosters lohnen könnte. Ich selbsst zweifle an dieser Berechnung, denn pro verhinderten Zoster Fall müssten wir bei Impfkosten von 2×100 Fr. etwa 12-15"000 Fr. rechnen. Noch teurer wäre die Rechnung pro verhinderten Fall mit postherpetischer Neuralgie.

In der gleichen Nummer des NEJM wird in einem interessanten "Perspective" Artikel der Zusammenhang zwischen VZV Exposition und Aufrechterhaltung des Immunsystems beleuchtet. Das Immunsystem muss sich an eine lang zurückliegende Infektion "erinnern" können. Diese Erinnerung funktioniert – ähnlich wie die intellektuelle Erinnerungsleistung – nur, wenn das Immunsystem immer wieder an die stattgefundene Infektion erinnert wird. Diese Auffrischung des immunologischen Gedächtnisses, der sog. Booster-Effekt, funktioniert in der Natur dadurch, dass wir immer wieder mit Kindern in Kontakt sind, welche an Varizellen erkranken. Es gibt auch VZV-ImmunologieStudien, welche zeigen konnten, dass ältere Menschen, welche im Kontakt mit Kleinkindern sind, seltener an einer Gürtelrose leiden (Thomas, 2002). Andere Arbeiten (z.B. Brisson 2002) konnten zeigen, dass die gegen das VZV gerichtete Immunantwort besser ist bei Menschen, die mit Kleinkinder leben.

Diese Zusammenhänge sind in der nebenstehenden Grafik aus dem "Perspective"-Aritkel grafisch vereinafcht illustriert. Der Effekt der re-Exposition kann, wie in der gestrichelten Linie gezeigt auch durch eine Impfung erfolgen. Eine fast gleichzeitig erschienene Arbeit vom CDC im JID fand hingegen keine Zunahme der Herpes zoster Fälle seit der durch die VZV-Impfung in den USA bedingten Abnahme von Varizella-Fällen bei Kleinkindern (Jumaan et al, 2005). Persönlich glaube ich jedoch, dass die in dieser Studie gewählte Beobachtungsperiode von 4 Jahren zu kurz ist, um einen solchen Effekt auszuschliessen.

Mit den Veränderungen unserer Gesellschaftsstrukturen ändert sich auch die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Viren. Früher waren Kinder in der Überzahl. Die Kontakte zwischen Alten Menschen und Kleinkindern gehörten zur normalen Gesellschaftsstruktur. Herpes Zoster dürfte nicht zuletzt auch wegen den Gesellschaftlichen Veränderungen zunehmen. Eine VZV-Impfung im Alter ist biologisch gesehen eine vernünftige Alternative. Gesellschaftspolitisch wünschenswert wäre vielleicht eher ein vermehrtes Beisammensein von älteren Menschen und Kindern.

Quelle: Oxman et al, NEJM, 2005; 352:227-84

Editorial von D. Gilden, NEJM, 2.6.05
Perspecitve: Aging, Immunity and the VZV. A. Arvin, NEJM 2.6.05

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Varizellen-Impfung für Spitalpersonal (BMJ 2/05)
Varizellen-Pneumonie bei Erwachsenen nicht zu unterschätzen (April 03) 
Senkt die Varizellen-Impfung langfristig die Mortalität? (NEJM 2/05)
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Amerikanische Impfempfehlungen im Kindesalter (Sept 03)