Wann ist ein HIV Screening Kosteneffizient
Für jeden Einsatz einer diagnostischen Methode muss neben der diagnostischen Treffsicherheit auch die Frage der Kosteneffizienz geprüft werden. Zwei im NEJM publizierte Studien haben das Kosten-Nutzenverhältnis einer HIV-Screeninguntersuchung geprüft.
Eine Screeninguntersuchung ist eine Abklärung, die man ohne Vorliegen eines gewissen Verdachtsmomentes veranlasst, also ausserhalb einer gezielten Abklärung eines medizinischen Problems. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Screeninguntersuchung eine Krankheit zu finden, hängt ab von der Häufigkeit des untersuchten Problems in der Untersuchten Bevölkerung, ist aber in der Regel sehr klein. Daher sind die Gesamtkosten, um einen einzigen Fall zu finden in der Regel sehr hoch. Eine Kostenanalyse von Screeninguntersuchungen drängt sich demnach auf.
Gleich zwei im jüngsten New England Journal of Medicine publizierte amerikanische Untersuchungen haben diese Frage für ein HIV-Antikörpertest Screening untersucht. Beide Autorengruppen verwendeten mathematische Modelle, mit denen der Verlauf einer HIV-Infektion, mögliche Ansteckungen und die Kosten für die Therapie simuliert wurden. In der ersten Arbeit von Sanders et al wurden alle Daten, die für das Markov-Modell verwendet wurden, detailliert beschrieben. Die zweite Arbeit von Paltiel et al. benutzte ein etwas anderes Modell (microsimulation), doch die beiden Methoden kamen zu ähnlichen Folgerungen.
Es wurden viele verschiedene Szenarien berechnet. Am günstigsten ist die einmalige Screeninguntersuchung. Die erste Studie kommt auf eine relativ vernünftige Kosten-/Nutzen Analyse. So hat die Studie zum Beispiel berechnet, dass mit einem Aufwand von 15″000 US$ durchschnittlich ein Jahr Lebensverlängerung erkauft werden kann. Diese Berechnung berücksichtigt eine Reduktion von Neuinfektionen durch die Testinformation selbst und durch die Senkung der Infektiosität infolge HIV-Therapie.
Zahlen aus den USA können sicher nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen werden. Die Kosten für eine HIV-Testung sind in der Schweiz höher, auch andere Faktoren können variieren. Besonders bei den Testkosten, welche bei einem Screening besonders hoch zu Buche schlagen, sind die Annahmen der Autoren ausgesprochen tief. Die Kosten für einen HIV-Screening-Test wurden in diesem Modell mit Fr. 3.- veranschlagt. Der Test kostet bei uns Fr. 45.- (Quelle Tarife IKMI). Auch die Kosten für eine HIV-Therapie sind fast die Hälfte der Kosten in der Schweiz. Die veränderten Rahmenbedingungen in der Schweiz würden die Kosten pro Lebensjahr massiv verteuern, der genaue Betrag lässt sich ohne das gesamte Modell zu benutzen aber nicht abschätzen. Mindestens zur Beurteilung von Grössenordnungen sind die Resultate der beiden Studien auch für die Schweiz wertvoll.
Die Autoren sind in ihren Schlussfolgerungen relativ enthusiastisch. Dies muss jeoch im Kontext diskutiert werden. In den USA werden HIV-Testungen relativ selten durchgeführt. In der Schweiz werden Jährlich ausserhalb des Blutspendewesens 300″000 HIV-Teste durchgeführt. Im Europäischen Vergleich liegt die HIV-Testrate in der Schweiz am höchsten (Renzi et al, 2004) und weit über der Testprävalenz in den USA.
Das Kosten-Nutzenverhältnis einer Screeningungersuchung ist immer direkt abhängig von der Häufigkeit einer Erkrankung in der untersuchten Population, der Vor-Test oder a-priori Wahrscheinlichkeit. Die oben zitierte günstigste Variante galt für die Annahme einer a-priori Wahrscheinlichkeit (Prävalenz) von 1%. Sobald die Prävalenz unter 0.5% absinkt, steigen die Kosten ins Unermessliche. Das Bedeutet, wenn das Risiko einer (bisher unentdeckten) HIV-Infektion über 1% liegt, ist ein HIV-Test gerechtfertigt. Liegt er unter 0.5%, so ist eine HIV-Testung sicher nicht kosteneffizient. Die nebenstehende Abbildung aus der Arbeit Sanders et al. zeigt, dass die Kosten bei einer a-priori Wahrscheinlichkeit unter 0.5% stark in die Höhe wachsen. Selbst wenn die Kosten für Schweizer Verhältnisse weit über den Amerikanischen Schätzungen liegen, so dürfte dieser Schwellenwert auch für die Schweiz zwischen 0.5 und 1% liegen.
Eine HIV-Testung bei tiefer Prävalenz muss immer auch das Problem der falsch reaktiven HIV-Teste berücksichtigen. In unseren anonymen HIV-Teststellen mit einer HIV-Positivitätsrate von ca. 1 auf 2000 Teste sind ca. drei von vier positiven Screening-Teste falsch positiv. Die damit verbundene Unsicherheit, die oft erst nach mehreren Tests beseitigt werden kann, ist eine Belastung für die Betroffenen, die in die Rechnung miteinbezogen werden muss und die im Rahmen eines freiwilligen Test in Kauf genommen werden kann.
Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Teststrategie in der Schweiz durch die vorliegenden Daten bestätigt wird. So wird hier zum Beispiel klar eine HIV-Testung bei allen Patienten mit einer Geschlechtskrankheit empfohlen. In dieser Population liegt die HIV Positivitätsrate bei ca. 1-3%. Nicht empfohlen ist eine Screeninguntersuchung von Populationen mit einer Prävalenz unter 1-2 auf Tausend (z.B. Rekruten, Spitalpatienten, etc.). Mehr über das Schweizerische HIV-Testkonzept auf der BAG-Homepage.
Quelle: Sanders et al, NEJM, 2005;352:570, Paltiel et al, NEJM, 2005;352:586,
Editorial von Sam Bozzette