Ausgangslage in der Schweiz- Fachtagung HIV und Arbeit 2006

Eine bedeutende Anzahl der HIV-positiven Menschen in der Schweiz ist nicht mehr berufstätig.

Die Fachtagung vom September 2006 ging in Workshops und Diskussionen den Fragen rund um "HIV und Arbeit " auf den Grund.

Eine Zusammenfassung und ausgewählte Kernaussagen ergeben ein Bild der Problemlage. Lösungsansätze in Form konkreter Massnahmen, konnten am Ende der Tagung umschrieben werden.

Eine bedeutende Anzahl der rund 18"000 HIV-positiven Menschen in der Schweiz ist nicht mehr berufstätig, obschon es der dank neuer Therapien verbesserte Allgemeinzustand zuliesse.

Schätzungen gehen davon aus, dass ca. 70% der HIV-Positiven noch arbeiten und davon wiederum etwa 70% vollzeitlich; K. Pärli et al., Aids, Recht und Geld, Verlag Rüegger 2003. Dieses Situation ist sowohl für viele Betroffene, als auch für die Gesellschaft unbefriedigend.

Der Stellenwert, den die berufliche Integration und damit die Teilnahme am Gesellschaftsgeschehen für die Zufriedenheit und Gesundheit jedes Menschen hat, ist allgemein bekannt.

Berufliches Können bleibt ungenutzt, wodurch der Volkswirtschaft Wertschöpfungspotential verloren geht. Gleichzeitig werden die Sozialversicherungen durch die finanzielle Abhängigkeit der Betroffenen unnötig belastet. Das Problembewusstsein, was diese Frage betrifft, ist in der schweizerischen Öffentlichkeit, bei den Sozialversicherungen und in den Unternehmungen ungenügend entwickelt.

 

 

Zusammenfassung der Fachtagung "HIV und Arbeit" vom 14. September 2006 in Bern
 
Diese Tagung wurde im Rahmen von P+IPS organisiert. Im Mittelpunkt stand das Thema der Integration HIV positiver Menschen in die Arbeitswelt. Vertreter/innen der verschiedenen Akteure (Arbeitgeber, Versicherungen, Ärzte, Juristen, AIDS-Organisationen, BAG und Menschen mit HIV) analysierten das Thema "HIV und Arbeit" und erarbeiteten Vorschläge um die Integration von Menschen mit HIV im Arbeitsleben zu verbessern.
 
 
Spezifität von HIV
Ein spezielles Problem ist die Diskriminierung, die teilweise Folge der Präventionskampagnen ist. Es gibt den Unterschied zwischen Krankheiten, die "man kriegt" und denen, die "man sich holt", wie z. B. HIV/AIDS. Der psychologische Aspekt und die Reaktion gegenüber Krankheiten, die man sich holt, ist nicht zu unterschätzen. Es ist wichtig, dass es zielgruppenspezifische Prävention gibt, das hat aber oft die Diskriminierung dieser Gruppe zur Folge. Aus dieser Problematik rauszukommen ist nicht einfach.
Prof. Dr. iur. Thomas Geiser, Universität St. Gallen
 
 
Ausgangslage
 
30% der Menschen mit HIV in der Schweiz sind nicht erwerbstätig, obschon sie meist im aktiven Alter stehen und vielfach dazu gesundheitlich in der Lage wären. Auch unter antiviraler Therapie sind eine normale Arbeitsfähigkeit und ein normales Leben möglich. Die Mehrheit aller Menschen mit HIV befürchtet Diskriminierung am Arbeitsplatz, wie eine aktuelle nationale Studie zeigt.
Trotz grosser medizinischer Fortschritte bestehen weiterhin falsche und überholte Vorstellungen über HIV/AIDS.
 
Problemanalyse durch die Fachtagung
 
Die oft lange Absenz vom Arbeitsleben und Benachteiligungen beim Abschluss von Versicherungen (Pensionskassen und Taggeldversicherungen) erschweren die berufliche Reintegration. Die Problemlage der Menschen mit HIV gleicht weitgehend derjenigen anderer Patientengruppen mit chronischen Erkrankungen. Hinzu kommt allerdings bei einer HIV-Infektion das Stigma, das dieser Krankheit weiterhin anhaftet und sich auch im Arbeitsleben negativ auswirkt. Die gesellschaftlichen Vorurteile gegenüber Menschen mit einer HIV-Infektion führen nicht selten so weit, dass eine Person ihre Stelle verliert, bzw. keine neue Stelle mehr findet und damit aus dem Erwerbsleben ausscheidet.
 
Lösungsvorschläge
 
Die Lösung der Problematik des HIV-Stigmas liegt in einer Sensibilisierung der Akteure, namentlich der Arbeitgeber und der Versicherungen. Fehlinformationen, welche noch in de Gesellschaft verankert sind, müssen auch in der Arbeitswelt korrigiert werden.
Was politische und rechtliche Ziele betrifft, die Chronischkranke und Behinderte allgemein betreffen, ist eine enge Kooperation mit anderen Patientenorganisationen erstrebenswert. Aktive Integrationsmassnahmen, welche HIV spezifische Schwierigkeiten berücksichtigen sind unbedingt notwendig.
 
Konkrete Schritte
 
  • Das gesellschaftliche Bild der Menschen mit HIV bedarf der Korrektur. Hier sind die HIV/AIDS-Organisationen, aber auch die Ärzte und die Menschen mit HIV gefordert. Die Vorstellungen über die Nebenwirkungen der HIV-Therapie und die Leistungsfähigkeit von Menschen mit HIV müssen dringend durch gezielte Informationsarbeit aktualisiert werden.
 
  • Für die Verfolgung politischer und rechtlicher Ziele sind Netzwerke sowohl auf einer allgemeinen Ebene der Patientenorganisationen, als auch auf der HIV-spezifischen Ebene aufzubauen.
 
  • Ausgehend von bestehenden Case Management Modellen der Sozialversicherungen (IV, SUVA) sollte in Zusammenarbeit mit diesen und den Arbeitgebern ein möglichst umfassendes HIV spezifisches Case Management geschaffen werden. Das Risiko für die Unternehmen ist dabei zu minimieren. Die Risikoverteilung sollte Teil des Case Managements sein. Den Arbeitgebern sollen Information und Unterstützung geboten werden; sowohl durch Organisationen, die sich im Bereich HIV/AIDS engagieren, als auch durch die Case Manager während des Integrationsprozesses.
 
  • Menschen mit HIV sollten verstärkt aktiv an Integrationsprojekten beteiligt werden: Als Beratende bei Fragen der beruflichen Integration und bei Aufklärungskampagnen, oder bei der Entwicklung von Projekten. Das Prinzip des "greater involvement of people living with HIV/AIDS" (GIPA) muss in allen Organisationen und Gremien, wo es um HIV geht umgesetzt werden.
 
Kernaussagen aus den Referaten
 
"Sowohl für die einzelne Person wie auch für die Volkswirtschaft entscheidend ist somit, zu verhindern, dass erwerbsfähige Personen wegen gesellschaftlicher Vorurteile aus dem Erwerbsleben ausscheiden."
Prof. Dr. iur. Thomas Geiser, Universität St. Gallen
 
 
"Diese Erfolgsstory der Medizin muss nun noch kommuniziert werden, damit sich der Erfolg der Behandlung für die Betroffenen auch in einen längerfristigen Erfolg auf allen Ebenen fortsetzt, auf der persönlichen, der beruflichen und der psychosozialen Ebene."
Prof. Dr. med. Pietro Vernazza, Kantonsspital St. Gallen
 
 
"Eingliederung vor Rente" 3 unbedeutende Worte mit dem Potential grosser Wirkung, wenn sie ein Umdenken in Wirtschaft und Gesellschaft bewirken können."
Jutta Wigdorovits, Swiss RE