Nadelstichverletzung: Was tun wenn“s passiert
Die meisten Spitäler sind für den Fall einer Nadelstichverletzung vorbereitet. Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Punkte zusammen, die es zu beachten gilt.
Nadelstich: nicht nur ein Risiko für eine HIV-Übertragung
Nadelstiche mit Kanülen oder ähnliche Verletzung gehören zum grössten Berufsrisiko in medizinischen Berufen. Grundsätzlich besteht dabei allerdings nicht nur eine Gefahr für eine HIV-Übertragung. Folgende Erreger führen die Liste der durch Blut übertragbaren Erreger an, wobei das mitllere Infektionsrisiko (rechte Kolonne) für Hepatitis B am höchsten ist:
Erreger | Infektionsrisiko nach Kanülenverletzung |
Hepatitis B (HBV) | 10-40% |
Hepatitis C (HCV) | 3-6% |
HIV | 0.1 – 0.3% |
Das Infektionsrisiko ist abhängig von der Tiefe der Verletzung, von der Menge des Blutes das bei der Verletzung beteiligt war und von der Konzentration des Blutes in der „Quelle“, das heisst bei der Person, deren Blut in der Kanüle resp. im verleztenden Gegenstand war.
Wann spricht man von einem Risiko?
Wir gehen immer dann von einem relevanten Infektionsrisiko aus, wenn Blut von einer infizierten Person transkutan, das heisst durch die Haut der exponierten Person hindurch gelangt (Nadelstich). Bei Hepatitis B dürfte auch ein Kontakt einer Schleimhaut mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten oder intakten Haut mit Blut ein Infektionsrisiko darstellen. Am gefährlichsten sind Verletzungen mit Kanülen, also Hohlnadeln, wie sie bei Blutentnahmen verwendet werden.
Wir sprechen im Folgenden von Nadelstichverletzungen (NSV), meinen damit aber alle Formen von relevanten Expositionen.
Was sind die Sofortmassnahmen nach einer Nadelstichverletzung (NSV)?
- Wunde sofort desinfizieren
- Nach Möglichkeit Blut der Quellperson asservieren (Blutentnahme Serum)
- Risikoabwägung
- Postexpositionsprophylaxe für HIV und HBV abklären
Ad 1: Zur Desinfektion eignet sich Betadine oder ein anderes Desinfektionsmittel
Ad 2: Das Blut der Quellperson wird benötigt, um ein mögliches Infektionsrisiko für HBV, HIV und HCV auszuschliessen. Die Person muss über eine mögliche Testung des Blutes auf die genannten Virusinfektionen informiert werden.
Ad 3: Oft ist am Anfang unklar, wie gross das Infektionsrisiko für die exponierte Person war. Daher empfehlen wir zunächst die Sofortmassnahmen und anschliessend eine fundierte Risikoevaluation. Zur Beurteilung der Risikoinfektion empfiehlt sich eine Kontaktaufnahme mit einem Zentrumsspital, für die Ostschweiz kann unser Infektiologische Dienst kontaktiert werden (071 494 1122). Weiterführende Hinweise finden sich im BAG-Bulletin vom 4. März 2002.
Ad 4: Eine Postexpositionsprophylaxe (PEP) ist eine medikamentöse Behandlung zur Verhinderung einer Infektion nachdem ein Erreger bereits übertragen wurde. Eine wirksame PEP gibt es für HIV und HBV. Die Behandlung für HIV besteht in einer HIV-Kombinationstherapie von 4 Wochen Dauer. Die Behandlung für HBV besteht in einer aktiven und passiven Immunisierung.
Was gilt es als nächstes zu tun?
1. HIV-PEP: Am dringlichsten ist die Frage, ob ein HIV-Expositionsrisiko bestanden hat. Ist die Quellperson bekannt, soll eine HIV-PEP sofort eingeleitet werden, es sei denn, man kann eine HIV-Infektion innert zwei Stunden mittels eines HIV-Tests bei der Quelle ausschliessen. Zur Einleitung einer HIV-PEP empfehlen wir die sofortige Einnahme einer Tablette Truvada(R). Dann Kontaktaufnahme innert 2-4 Stunden mit einem HIV-Zentrum.
Ist die Quelle nicht bekannt, dann wird in der Regel keine PEP empfohlen. Ausnahmen sind Situationen, in welchen von einer grossen Wahrscheinlichkeit (>10%) einer HIV-Infektion bei der Quelle ausgegangen werden muss.
Für die Entscheidung, ob bei der Quelle eine HIV-Infektion vorgelegen hat, empfehlen wir die Durchführung eines HIV-Schnelltestes, der innert 15 Minuten eine HIV-Infektion ausschliessen kann und aus einer kapillären Blutentnahme gemacht werden kann.
Weiterfürhende Hinweise zum HIV-Schnelltest finden Sie in unserer entsprechenden Publikation in der SMW und in den Vortragsunterlagen zum Vortrag anlässlich des 8. St. Galler Infekttages.
2. Hepatitis B: Am Wichtigsten (da das Risiko am grössten) ist die Prophylaxe einer Hepatitis B. Gegen diese Infektion gibt es eine wirksame Impfung und alle Personen in Gesundheitsberufen sollten eigentlich geimpft sein. Wo dies nicht der Fall ist, muss eine Nachimpfung innert 72 Stunden nach Exposition durchgeführt werden. Je nach Risiko empfiehlt sich eine Kombination aus aktiver und passiver Immunisierung oder nur eine aktive Immunsierung (Hepatitis-B-Impfung).
3. Hepatitis C: Zur Zeit gibt es noch keine wirksame Prophylaxe gegen Hepatitis C. Allerdings kann eine frühzeitige Therapie der Hepatitis C in den meisten Fällen eine chronische HCV-Infektion verhindern (Jaeckel et al, NEJM 15.11.01). Daher ist es wichtig, dass eine allfällige HCV Infektion frühzeitig entdeckt wird. Wir empfehlen daher folgende Schritte:
- HCV-Antikörper Testung der Quelle bei jeder NSV
- Falls Quelle HCV-positiv: monatliche Kontrolle der Transaminasen bei der exponierten Person
- Falls Transaminasen ansteigen, Bestimmung der HCV-RNA im Plasma
- Bei akuter HCV-RNA erhöhung: Kontakt mit Zentrumsspital
4. Blutentnahme bei der Exponierten Person in den ersten 3 Tagen nach Exposition Aus arbeitsrechtlichen Überlegungen empfielt es sich auf jeden Fall, eine Blutentnahme bei der Exponierten Person durchzuführen. Das Blut (Serum) muss in einem Labor für mindestens ein Jahr asserviert werden (Serotheke, -20°C oder kälter). Es müssen zum Zeitpunkt der Exposition keine Teste durchgeführt werden.
5. Abschliessende Nachkontrollen bei der exponierten Person
Je nach Exposition (resp. Infektionen bei der Quelle) sollen folgende Nachkontrollen durchgeführt werden:
- Quelle HIV-positiv: HIV-Antikörper 3 Monate nach Ende der PEP
- Quelle antiHBc positiv und anti-HBs negativ: HBV-Serologie nach 3-4 Monaten nur wenn Exponierte Person nicht immun
- Quelle HCV-positiv: HCV-AK Test nach 9 Monaten (Transaminasen s. oben)
- Serostatus Quelle nicht bekannt: Alle drei Serologien nach 6 Monaten
Für weiterführende Antworten konsultieren Sie die Publikation des BAG oder kontaktieren ein Zentrumsspital. Bei vorliegen einer Exposition für eine der drei genannten Virusinfekte empfielt sich in jedem Falle eine Kontaktaufnahme mit einem Zentrumsspital. Für die Ostschweiz wenden Sie sich an unseren Infektiologischen Konsiliardienst (071 494 1122).
Interne Anleitung für die Notfallstation am Kantonsspital HIER