EACS 2015 – Barcelona – Ein kleiner Kurzbericht

Alle zwei Jahre veranstaltet die „European AIDS Clinical Society“ (EACS) die Europäische AIDS Konferenz. An der diesjährigen Konferenz in Barcelona vom 21.-24. Oktober wurden keine wesentlichen Neuheiten präsentiert, doch einige interessante Fragen diskutiert. Ich habe mich daher entschieden, hier nur einen kleinen, sehr persönlichen Rückblick auf die noch laufende Tagung zu verfassen.

EACS 2015 Barcelona – Kein „wow“-Erlebnis

Sicher, Barcelona ist eine schöne Stadt, doch viel hat man nicht davon, wenn man den ganzen Tag im im CCIB Convention Center verbringt. Doch wenn man die Besucher an der Konferenz fragt, so scheinen die meisten etwas ernüchtert, was den Lerneffekt betrifft. So stelle ich mir immer wieder die Frage, ob sich der Aufwand für Reise, Kongress, Hotel und die Abwesenheit von zu Hause für mich gelohnt hat. Wenn, so doch nur wegen einzelnen Kontakten mit Personen, die ich anders nicht getroffen hätte. Und in den Gesprächen sind wieder einige Ideen zur Verbesserung unserer Klinik für HIV, Hepatitis und Geschlechtskrankheiten entstanden. In den folgenden Abschnitten möchte ich daher nur drei Punkte hervorheben, über die ich mir nach dieser Konferenz vertieft Gedanken machte. PrEP, Monotherapie und Guidelines. Ich starte nun hier mal mit PrEP und werde die beiden anderen Themen noch morgen kurz beleuchten. 

PrEP – Europa möchte aufholen

Scheena Mc Cormack hat ihren ausgezeichneten Plenarvortrag am Freitag mit dem Kommentar abgeschlossen, dass PrEP in den USA schon seit gut 3 Jahren empfohlen sei und dass es nun an der Zeit sei, dass Europa aufhole. Wir sollten nun nach Hause gehen und dafür sorgen, dass PrEP nun endlich im grossen Stil in Europa durchgeführt werde. Doch so linear ist die Medizin ja nun auch wieder nicht. Zunächst einmal sei angefügt, dass PrEP in den ersten zwei Jahren in den USA vielleicht gerade mal 1000 Personen verschrieben wurde. Auch bei uns zweifelt niemand daran, dass die PrEP, korrekt eingenommen, genauso gut wirkt wie ein (korrekt benutztes) Kondom. Doch mehr nun auch wieder nicht. Die Frage, die sich auch in Europa stellt ist, wer denn die Kosten übernehmen soll.

Der Preis ist heiss

Auch in der Schweiz sind wir sehr aktiv daran, den korrekten Einsatz und die medizinische Verordnung von PrEP zu beschreiben und die Publikation steht vor der Türe. Wir sind uns alle einig, dass Personen, welche aus irgend welchen Gründen davon ausgehen, dass sie in naher oder ferner Zukunft in einer Risikosituation kein Kondom benützen werden, dass diesen Personen die Möglichkeit eines intelligenten Schutzes mit einer medizinischen Behandlung nicht verwehrt bleiben soll. Aber nur weil es sich um eine Tablette handelt, heisst dies noch nicht, dass diese Behandlung auch von der Allgemeinheit bezahlt werden soll.

Interessanterweise hat auch Mc Cormack nicht gefordert, dass die Finanzierung durch die Kasse (respektive in England durch den Staat) erfolgen soll. Sie hat jedoch schön aufgezeigt, dass man Möglichkeiten prüfen soll, wie man Generika aus dem Ausland für den persönlichen Gebrauch importieren kann. Offenbar bestehen grosse Unterschiede innerhalb Europa. Diese Möglichkeiten müssen unbedingt ausgelotet werden. Tatsächlich – so habe ich in Gesprächen mit Betroffenen gehört – ist es möglich, eine in England eine Behanldung zum Preis von 2 Franken pro Tag zu bekommen. Könnte man die Medikamenten zu diesem Tarif anbieten, würde sich deren Einsatz für PrEP mit Sicherheit auch in der Schweiz rasch vervielfachen.

Auch nicht abschliessend geklärt ist die Frage, ob es denn für PrEP – wie in den USA emfpohlen – eine Kombination von zwei Medikamenten (FTC+Tenofovir) braucht, oder ob Tenofovir alleine genügen würde. In kleinen Tierversuchen schnitt die Kombination von Tenofovir+FTC etwas besser ab. Doch dort, wo man die Frage in PrEP-Studien untersucht hat, fand sich kein Unterschied zwischen einem und zwei Medikamenten. Doch bei MSM wurde PrEP nur in der Zweierkombination geprüft. Nun, wenn der Preis für den Einsatz entscheidend ist, und sich doppelt so viele MSM mit einem günstigeren Medikament für die PrEP entscheiden könnten, wäre der Effekt jedoch selbst bei etwas geringerer Wirksamkeit im Endeffekt grösser. Alles offene Fragen…

Wirkung auf Befindlichkeit möglicherweise bedeutungsvoller

PrEP ist nicht nur wirksam zur Verhinderung einer HIV-Übertragung. Ähnlich wie das Swiss Statement, das den Betroffenen die Angst beim Sex genommen hat, hat auch PrEP das riesige Potential den heute am meisten betroffenen MSM endlich ein normales Sexualleben ohne Angst und Schuldgefühlen und ohne Kondom zu ermöglichen. Eine positiv und entspannend erlebte Sexualität ist eine zentrale Voraussetzung für ein gesundes, angstfreies Wohlbefinden. So wie die Empfängnisverhütung Millionen von Frauen und Paaren ein freies sexuelles Erleben ermöglicht hat, hat auch PrEP für viele Menschen ein befreiendes Potential. Das sollten wir möglich machen.

Nicht alles ist gut, was aus den USA kommt

Natürlich werden wir in der Schweiz niemandem empfehlen, beim Sex mit einem HIV-positiven Partner unter Therapie noch zusätzlich PrEP einzunehmen, wie dies in den USA zur Zeit empfohlen ist. Aber auch andere Aspekte müssen wir für die Schweiz anders beurteilen als dies in Europa oder den USA gemacht wird. So hat McCormick zum Beispiel gezeigt, dass die HIV-Inzidenz beim MSM in Europa ständig steigt, während diese in der Schweiz seit 2008 abnimmt. Mehr noch, wir wissen, dass der Anteil von Menschen mit unbehandelter HIV Infektion in den USA mehr als 50% beträgt. Gemäss unserer kürlich publizierten Schweizer Arbeit (Kohler et al, AIDS) rechnen wir in der Schweiz mit knapp tausend MSM die nicht diagnostiziert oder nicht behandelt sind. Die Chance für einen MSM, auf einen dieser unbehandelten Männer zu treffen, ist möglicherweise in der Schweiz deutlich geringer als in den USA. So muss auch dieser Aspekt in die Risikobeurteilung einfliessen und auch Kosten-Nutzen-Analysen von PrEP dürfen nicht einfach von den USA übernommen werden. Sicher ist, dass wir weiterhin alles daran setzen wollen, die Zahl der nicht diagnostizierten Personen noch weiter zu senken.

PrEP könnte auch im Interesse der Öffentlichen Gesundheit sein

Wie dargestellt, kann PrEP für den Einzelnen ein ganz entscheidender Gewinn an Lebensqualität bedeuten. Doch es ist durchaus denkbar, dass sich der Einsatz von PrEP in gewissen Situationen auch für die Öffentlichkeit lohnen könnte. Im Gespräch mit David Stuart von der „56 Dean Street“ habe ich erfahren, dass es durchaus Risikoevaluationsmodelle gibt, mit denen sich ein intelligenter Einsatz von PrEP steuern liesse. 56 Dean Street ist eine Sexual Health Clinic in mitten von Soho in London, in der sich fast ausschliesslich MSM beraten, testen und behandeln lassen. In dieser hochfrequentierten Institution werden jährlich über 500 HIV Diagnosen bei MSM gestellt, doppelt so viel wie in der Schweiz, ein Drittel aller Diagnosen bei MSM in England! Die Klinik nutzt ein online Fragebogen-System. Mit einem geeigneten Algorithmus – so David Stuart – könne mit fast 100% Chance vorausgesagt werden: „Dieser Mann wird in den nächsten 6 Wochen angsteckt“. Sicher, etwas vereinfacht dargestellt. Aber wenn wir ein Tool hätten, mit dem man mit hoher Präzision diese 120 MSM in der Schweiz voraussagen könnte, welche sich voraussichtlich nächstes Jahr mit HIV anstecken werden, dann wäre es wohl klar, dass man diesen MSM sofort eine PrEP anbieten würde. Sicher ein weites Feld, das es noch zu erforschen gilt.