Adherence Support – Was funktioniert im klinischen Alltag?

Der langfristige Therapieerfolg für Menschen mit HIV, hängt wesentlich von einer guten Fähigkeit zur Adherence, über viele Jahre, ab. Metaanalysen und Reviews zeigten, dass die Adherence durch Verhaltensinterventionen wirksam unterstützt werden kann. Der hier vorgestellte Artikel bietet, neben einer Review der aktuellsten Interventionsstudien (2007-2009), eine Übersicht von Adherence-fördernden Strategien für den Einsatz in der klinischen Praxis.

Simoni und Amico haben seit 1996 in verschiedenen Reviews und einer Metaanalyse systematisch die Wirkung von Verhaltensinterventionen, zur Unterstützung der antiretroviralen Adherence von Menschen mit HIV, zusammengefasst und evaluiert. Frühere, wie auch die aktuelle Review zeigen, dass die Adherence durch Verhaltensinterventionen wirksam unterstützt werden kann. Die erzielten Effekte sind jedoch meist klein und flachen mit der Zeit ab. Zudem weiss man heute, dass einfache Strategien nicht ausreichen, sondern eine flexible Kombination von Strategien über längere Zeit für den Erfolg nötig sind. Kritisch betrachtet werden sollte auch, dass bis heute die Interventionsstrategien eher rational und individualistisch ausgerichtet waren. Soziale- und Systemfaktoren würden bisher auf der Interventionsebene wenig berücksichtigt, könnten aber durchaus von Bedeutung sein.

Nichts desto trotz werden vor allem in den neueren Studien, diverse Strategien beschrieben, die sich für den klinischen Gebrauch eignen können. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die einzelnen Strategien, nur im Kontext umfassender Interventionsprogramme evaluiert wurden und damit deren Wirksamkeit im klinischen Alltag nicht per se gegeben ist. Die folgende Tabelle von Simoni et al. bietet jedoch eine gute Übersicht über verschiedene Strategien, die jeweils auf die individuelle Patientensituation angepasst und für diese evaluiert werden müssen. Dieser Prozess erfordert sicher eine enge Kollaboration zwischen der Person mit HIV und den betreuenden Fachpersonen. Um in Zukunft Erfolg oder Misserfolg solcher klinischen Adherence Interventionen breit zu diskutieren, ist die Beschreibung von Fallbeispielen und Praxisevaluationen von Bedeutung.

Strategien zur Unterstützung der ART Adherence

Vor dem Therapiebeginn

Bereitschaft zur Therapie aufbauen, bevor ART verschrieben wird –Erfahrungen, Perspektiven der Patienten erfassen und Trainings mit Zuckertabletten (oder Vitaminen) in Betracht ziehen

Die Medikamentenkombination evaluieren – Komplexität reduzieren

Den Einnahmeplan auf die individuelle Situation anpassen – tägliche Routinen der Patienten erfassen und Einnahmezeiten (1xtgl. / 2xtgl.) sowie potentielle Nebenwirkungen den Gegenbenheiten anpassen. Einnahmezeiten mit täglichen Routinen kombinieren

Patienten in die Entscheidungen zu Einnahmezeiten und ART Kombination integrieren

Kontakte zum Austausch zu Peers (anderen Betroffenen mit ART) ermöglichen, um Ängste zu reduzieren und Erwartungen zu klären

Generelle und häufige Befürchtungen explorieren (z. Bsp. Stigma, Disclosure, Toxizität) sowie auch individuellere Befürchtungen thematisieren (Was wird die grösste Herausforderung sein?). Dazu einen Ressourcenorientieren Ansatz gebrauchen (Welche Unterstützung und Ressourcen sind da, um mit gut mit der Therapie starten zu können?)

Informationen geben zu: den einzelnen Medikamenten, Nebenwirkungen, Management von Nebenwirkungen, Anforderungen der ART, Resistenzen, Umgang mit vergessenen Einnahmen und anderen Problemen

Eine Liste mit Unterstützungsmöglichkeiten anderer Dienstleister bereitstellen

Kulturelle Vorstellungen oder Fehlinformationen erfassen, welche die Adherence beeinflussen könnten (z. Bsp. das ART nicht mit Alkohol eingenommen werden kann oder das kurze Therapieunterbrüche harmlos sind)

Möglichst umfassend kombinierte Strategien einsetzen – multidisziplinäres Planen der Behandlung, inklusive sozialen, pharmakologischen, medizinischen, pflegerischen und ernährungsspezifischen Dienstleistungen und Casemanagement

Situative Hindernisse berücksichtigen, welche die Adherence behindern könnten (z. Bsp. Kognitive Einschränkungen, schädlicher Substanzen-Gebrauch oder Obdachlosigkeit)

Beim Therapie – Start

Informationen und Unterstützung zum Umgang mit unerwünschten Medikamentenwirkungen anbieten – Patienten auf diese vorbereiten. Den durch diese verursachte Stress erfassten und behandeln oder wo möglich vorbeugen

Bei der Erfassung der Adherence eine nicht wertende Perspektive bewahren – zu enthusiastisches Loben sowie starke negative Reaktionen auf ausgelassene Dosen vermeiden. Eine Atmosphäre schaffen, in welcher sich die Patienten in der Lage fühlen über Adherenceprobleme zu sprechen und sich bei Problemen unterstützt fühlen. Dies ist wichtig für eine gute Langzeitbeziehung zwischen Patient und Fachpersonen

Regelmässig Adherence Daten erfassen und aufgrund dessen gezielte Rückmeldungen zur Optimierung der Medikamenteneinnahme geben.

Offene Fragen stellen und zuhören. Patienten fragen was sie behindert und was ihnen hilft zur regelmässigen Einnahme. Warten mit der Problemlösungsphase, zuhören kann therapeutisch sein und den Patienten ermöglichen eigene Strategien zur Veränderung zu entwickeln

Unterstützung und Hilfsmittel nach Bedarf offerieren – inklusive Erinnerungshilfen (Alarme, Mobiltelefone, Gegenstände mit der Medikamenteneinnahme in Verbindung bringen, Einnahmezeiten mit Ereignissen verbinden), Aufbewahrungs- Transporthilfsmittel (transportable Pillendosen, Schlüsselanhänger), Organisationshilfsmittel (Medikamenten-Wochendispenser, Tagebuch, Kalender), Hilfsmittel zur Kontrolle (Übersichtslisten Laborresultate, Identifikation Barrieren) Informationshilfsmittel (Websites, Videos, Broschüren, Medikamentenkarten mit Einnahmeschema und Zusatzinformationen) Überweisung zu anderen Dienstleistern (Psychische Gesundheit, Soziale Unterstützung, Case-Management)

Geschlossene Fragen über die Adherence vermeiden um einen verfrühtes Ende des Gespräches zu verhindern (negatives Bsp.: Sie, nehmen die Medikamente regelmässig, oder?)

Soziale Unterstützung fördern, inklusive offenlegen der Diagnose gegenüber engen Bezugspersonen (Partner, Familie, Freunde), welche die Adherence unterstützen könnten

Periodische Langzeitunterstützung

Weiterhin potentielle Ressourcen und Hindernisse in Bezug auf die Adherence auf nicht wertende Art explorieren (Sie nehmen jetzt schon eine ganze Weile diese Medikamente ein, was sind für Sie die grössten Herausforderungen die Medikamente täglich zu nehmen? Was ist das Schwierigste?). Probleme und Ressourcen der Langzeitadherence können sich von den ursprünglich explorierten unterscheiden.

Zusammen mit Kollegen und Kolleginnen und mit der Expertise von Patienten eine Sammlung von hilfreichen Adherence-Support-Strategien aufbauen

Nach Bestärkungsstrategien fragen (Tun sie sich etwas Gutes, wenn Sie über eine längere Phase die Medikamente regelmässig eingenommen haben? Was hilft Ihnen dran zu bleiben?) Anerkennung des Erfolgs in die Arbeitsprozesse integrieren

Austausch über erfolgreiche Strategien zwischen Patienten ermöglichen. Zusammenarbeit diesbezüglich mit anderen Organisationen (z.Bsp. Aidshilfen)

 

Quelle: Simoni et al. 2010, Current HIV/AIDS reports