Imipenem bei Fieber in Neutropenie unterdosiert?

Die Empfehlung einer Imipenem-Dosis von 2g pro Tag basiert auf Studien in gesunden Freiwilligen. Eine Lausanner Studie deutet nun daraufhin, dass diese Dosierung bei Patienten mit Fieber in Neutropenie möglicherweise nicht ausreicht.

Die Pharmakokinetik (= Aufnahme, Verteilung, Abbau und Ausscheidung) eines Medikaments ist bei Gesunden und kritisch Kranken signifikant verschieden. Entsprechend ist die auf Studien in gesunden Freiwilligen beruhende Imipenem-Dosis-Empfehlung von 2g pro Tag nicht ohne Weiteres auf Patienten mit Fieber in Neutropenie übertragbar.

Die Zeit, während der die Plasmakonzentration über der MIC (= Minimal Inhibitory Concentration = Minimale Hemm-Konzentration (MHK)) des Erregers liegt (t>MIC), ist der pharmakokinetische Parameter, welcher die antibakterielle Aktivität von Beta-Laktam-Antibiotika in vivo am besten vorhersagt. Für Imipenem haben in vitro- und in vivo-Analysen ergeben, dass eine optimale bakterizide (Bakterien abtötende und nicht nur in ihrem Wachstum hemmende) Wirkung erzielt wird, wenn die Plasmakonzentration während des gesamten Dosisintervalls über der MIC liegt. Dementsprechend wird von einigen Experten empfohlen, bei potentiell lebensbedrohlichen Erkrankungen, wie z.B. Fieber in Neutropenie, die Antibiotika-Konzentration während 66-100% des Dosisintervalls oberhalb der MIC zu halten.

Lamoth et al. führten im CHUV in Lausanne eine Untersuchung zur Pharmakokinetik von Imipenem bei Patienten mit Fieber in Neutropenie durch. Ihr Ziel war es, die Dosisempfehlungen für diese Patientengruppe zu optimieren. 159 konsekutive Imipenem-Plasmakonzentrationen (86 Tal- und 73 Spitzenspiegel) von 57 febrilen Neutropenie-Patienten mit hämatologischer Grunderkrankung (im Mittel 2 Proben pro Patient) wurden retrospektiv analysiert. Die Imipenem-Dosierung erfolgte gemäss derzeitiger Empfehlung für Fieber in Neutropenie (6stdl. 500mg über 30min i.v.), mit Anpassung an die mittels Cockroft-Gault-Formel (basierend auf Alter, Geschlecht, Gewicht und Kreatinin) errechnete Kreatinin-Clearance. Blut für die Bestimmung von Imipenem-Tal- und – Spitzenspiegel wurde um die gleiche Dosis herum abgenommen, d.h. 10min vor bzw. im Mittel 2h (0,5-4h) nach Infusionsbeginn. Gemessen wurde die freie Imipenem-Plasmakonzentration mit der HPLC (high-performance liquid chromatography)-Methode, deren Messbereich 0,25-200mg/l umfasst.

Für die Pharmakokinetik-Analyse wurden die erhobenen Daten in ein Computer-Programm namens NONMEM eingespeisst und anschliessend nach einem Modell gesucht, welches die Beobachtungen am besten beschreibt. In diesem Modell wurden dann für jeweils 1000 virtuelle Patienten verschiedene Imipenem-Dosis-Schemata simuliert. Therapeutisches Ziel war es, die Imipenem-Plasmakonzentration während des gesamten Dosisintervalls oberhalb der MIC zu halten (d.h. Tal-Spiegel>MIC). Die angestrebte MIC war 1mg/l (gemäss EUCAST-Datenbank (EUCAST = European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing) MIC90 der häufigsten grampositiven und gramnegativen Bakterien bei febrilen Neutropenie-Patienten). Für die verschiedenen Imipenem-Dosis-Schemata wurde jeweils der prozentuale Anteil der Patienten bestimmt, welcher das therapeutische Ziel erreicht.

77% der 57 Patienten waren Männer, 65% hatten eine AML (Akute Myeloische Leukämie) und das mittlere Alter lag bei 58 Jahren (17-78J.). Das mittlere Körpergewicht betrug 73kg (41-135kg), das mittlere Kreatinin 68umol/l (29-235umol/) und die mittlere Kreatinin-Clearance 105ml/min (38-285ml/min). Die Imipenem-Spitzen- und -Tal-Spiegel-Messungen ergaben mittlere Werte von 6,6mg/l (0,9-14mg/l) bzw. 0,9mg/l (0,25-5mg/l).

In den Simulationen wurde mit der empfohlenen Imipenem-Dosis von 4x 500mg täglich lediglich bei 53% der Patienten (mit 70kg und 100ml/min Kreatinin-Clearance) während des gesamten Dosisintervalls ein Imipenem-Plasmaspiegel von >1mg/l (MIC90 der häufigsten Bakterien) erzielt (Abb. A, gestrichelte Linie). Durch kürzere Dosisintervalle mit der Einzeldosis von 500mg (4 statt 6h) (Abb. B, gestrichelte Linie) oder höhere Einzeldosen (750 statt 500mg) mit längeren Infusionszeiten (120 statt 30min) (Abb. C, gepunktete Linie) konnte der Anteil Patienten, welcher das Ziel erreicht, auf 90% gesteigert werden.

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In Hinblick auf eine MIC90 von 2mg/l für Pseudomonas (und Enterokokken) stellt ein Dosis-Regime mit Imipenem 500mg alle 6h, 500mg alle 4h bzw. 750mg alle 6h über 120min eine Abdeckung in 18%, 73% bzw. 58% der Patienten sicher. Um 90% der Fälle abzudecken, wäre eine Dosis von 6g/d nötig. (Diese Erreger werden allerdings nur bei <5% der febrilen Neutropenie-Episoden gefunden.)

Die Notwendigkeit einer MIC-Abdeckung während 100% des Dosisintervalls ist umstritten. Für Betalaktame ist jedoch gezeigt worden, dass die stationäre Konzentration (Konzentration bei der sich Absterben und Wachstum die Waage halten) nahe der MIC liegt und dass es zum erneuten Bakterienwachstum kommt, wenn die Konzentration unter die MIC fällt. Vor diesem Hintergrund sollten Betalaktam-Antibiotika idealerweise kontinuierlich infundiert werden.

Imipenem-Dosen von 4g pro Tag wurden aus Angst vor Nebenwirkungen wie Übelkeit/Erbrechen und Neurotoxizität (Epilepsie) bisher vermieden. Allerdings kann eine verlängerte Infusionszeit offenbar die gastrointestinale Verträglichkeit verbessern und neurologische Nebenwirkungen sind auch bei hochdosierter Imipenem-Therapie selten, sofern eine adäquate Anpassung an die Nierenfunktion erfolgt (3-4g/d pro 100ml/min Kreatinin-Clearance).

Die Studie hat einige Limitationen:
– Fehlen vollständiger pharmakokinetischer Profile
– retrospektive Datenerhebung
– Überschätzung der Kreatinin-Clearance aufgrund einer verringerten Kreatinin-Produktion bei kritisch Kranken
– Imipenem-Plasmaspiegel-Bestimmungen nicht routinemässig, sondern auf Anforderung des behandelnden Arztes bei Verdacht auf Toxizität bzw. Therapieversagen oder bei Niereninsuffizienz (Selektionsbias)

Zusammenfassend deutet die Studie darauf hin, dass die empfohlene Imipenem-Dosis von 2g/d für eine adäquate Abdeckung der häufigsten Bakterien bei Fieber in Neutropenie-Patienten nicht ausreicht. Eine intermittierende Imipenem-Gabe mit höheren Dosen (entweder 500mg alle 4h oder 750mg infundiert über 2h alle 6h = 3g/d) kann die Medikamenten-Exposition in der lebensbedrohlichen Situation von Fieber bei Neutropenie optimieren.

Quelle: Lamoth et al., Antimicrobial Agents and Chemotherapy 2009; 53(2):785-787