Analkrebs bei HIV: Screening von Frühformen – sinnvoll? bei wem? und wie durchgeführt?

In den "Swiss Aids News" vom August 2008 erschien ein Artikel über die Zunahme von nicht-aidsdefinierenden Karzinomen bei Menschen mit HIV. Es wurde darauf hingewiesen, dass Analkrebs sich bei Männern, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben, häuft. Eine präventive Suche nach analen Frühveränderungen sei sinnvoll. Doch wie gut sind solche Screeninguntersuchungen tatsächlich? Und wie sollten sie genau durchgeführt werden?

Zum Hintergrund:
Unter Männern, die Geschlechtsverkehr mit Männern haben (MSM) hat das Vorliegen analer Karzinome über die letzten 20-30 Jahre zugenommen. Die Inzidenz in dieser Gruppe wird aktuell auf 35 Fälle pro 100.000 geschätzt. Das entspricht der Inzidenz des Zervixkarzinoms vor der Einführung von Routineuntersuchungen mit Pap- Abstrichen. Zudem wird geschätzt, dass das Risiko für  Analkrebs unter HIV- infizierten Männern zweimal so hoch ist wie ohne HIV- Infektion.
Ein Analkarzinom entsteht zumeist auf dem Boden einer Infektion mit humanen Papillomviren (HPV), der häufigsten durch Geschlechtsverkehr übertragenen Erkrankung. In der Folge kann es gehäuft zu Zellveränderungen im Analkanal kommen, die über Stadien mit nur diskreten, dann verstärkten Zellveränderugen ("low-grade" bzw. "high-grade squamous intraepithelial lesions", abgekürzt "LSIL" bzw. HSIL") zu einem Plattenepithelcarcinom übergehen können.
Über die letzten Jahre haben sich neue Therapiemöglichkeiten sowohl in der Frühbehandlung des Virusbefalls als auch dieser Krebsvorstufen ergeben. Dabei handelt es sich um die lokale Applikation von Podophyllotoxin (Condyline® und Warix®) und Imiquimod (Aldara®) und lokale Injektion von Interferon, aber auch um die direkte Applikation von flüssigem Stickstoff, Laserbehandlung, Elektrokauterisation und elektrochirurgische Exzision. Grössere Exzisionen können durch Beeinträchtigung der Sphincterfunktion problematisch sein; durch Einsatz von Anoskopen zur besseren Auflösung könnte aber die Grösse der  Exzisionsareale reduziert werden. Präventiv laufen auch erste Daten zum Einsatz der (bei jungen Mädchen eingesetzten) HPV-Vakzine. 
Eine antiretrovirale Therapie allein scheint keine relevante Besserung zu bringen, wenn die Krebs- Vorstufen einmal vorhanden sind.

Durchführung des Screening

Das verlässlichste Ergebnis dürfte erreicht werden, wenn eine Anoskopie durchgeführt wird und verdächtige Areale biopsiert werden.
Diese recht eingreifende Methode kann man aber wohl kaum als Screening empfehlen. Wenn bei einem  Patienten  allerdings bereits anale intraepitheliale Läsionen bekannt sind, oder der Patient über Beschwerden am Analkanal wie Schmerzen, Brennen oder Blutabgang berichtet (und andere Erkrankungen nicht gefunden wurden), kann man dieses Procedere diskutieren.

Ansonsten gilt der Analabstrich als die "einfachste" Screeninguntersuchung.
Dabei scheint die beste Methode zu sein, ein Bürstchen ca 1,5 bis 2 cm tief in den Anus einzuführen  und langsam unter mehrfach drehenden Bewegungen herauszuziehen. Die weitere Verarbeitung könnte als Ausstrich auf einem Objektträger erfolgen, oder durch Einbringen in eine Flüssigkeits (als "thin prep"). Letzteres hätte den Vorteil, dass ggf. diese Flüssigkeit später nochmals verwendet werden könnte, falls eine HPV- Typisierung gewünscht ist. Bei (fortgeschrittenen) Zellveränderungen würde dann eine Anoskopie (s.o.) durchgeführt.

Wie gut sind aber die Daten zu einem generellen Screening aller HIV- positiven MSM?

In den unten genannten Studien werden zusammenfassend die folgenden Aussagen gemacht:

  1. Der anale Pap- Abstrich braucht Routine; die Auswertung scheint  rechte "Tücken" zu haben.
  2. Es gibt keine Studien die  zeigen, dass Screening und eine Behandlung von Krebsfrühformen das Risiko einer Progression zu Analkrebs verhindern.
  3. Der "natürliche Progressionverlauf" von einer intraepithelialen Neoplasie zu Analkrebs ist nicht bekannt.
  4.  Bei den vielen vorgenannten Behandlungsmethoden der Krebs- Frühformen scheint es noch keinen endgültigen Entscheid über die beste Methode zu geben.
  5. Immerhin zeigen Daten, dass die Überlebensrate bei Patienten mit lokalen Krebs- im Vergleich mit regionalen bzw. weiter ausgebreiteten Krebsstadien verbessert ist.

Eine weitere, nicht erwähnte Frage ist auch noch: welchen Stellenwert beim Vorliegen von Krebs- Frühformen hat eine Subtyp- Diagnostik von HPV?

Folgerung

Weitere  Untersuchungen sind dringlich erforderlich.

Vorläufig haben Guidelines noch kein routinemässiges Screening bei HIV- infizierten MSM in die Empfehlungen aufgenommen. 

Bis zum Vorliegen weiterer Informationen wird die Frage, ob ein routinemässiges PAP- Screening (mit Analabstrich) bei HIV- positiven MSM durchgeführt werden sollte, offen bleiben. Unabhängig davon sollte aber jeder Patient bei Eintritt und möglichst einmal jährlich "routinemässig" folgende Untersuchungen haben: Fragen nach vorbekannten/vorbehandelten analen intraepithelialen Läsionen und nach Beschwerden am Analkanal wie Schmerzen, Brennen oder Blutabgang; perianale Inspektion; regionale Lymphknotenkontrolle; rektale Palpation.  

Literatur:

1. Swiss Aids News, August 2008 (noch nicht online verfügbar)

2. Screening HIV- infected individuals for anal cancer precursor lesions: a systematic review; Chiao et al, CID 2006:43

3. Anal screening cytology; Leiman; CytoJournal 2005, 2:5

4. Screening for anal dysplasia associated with human papillomavirus; Mathews; IAS- USA, Topics in HIV Medicine, 3-4/2003

5. Human papillomavirus infection in HIV-infected persons; Palefsky; IAS- USA, Topics in HIV Medicine, 8-9/ 2007

6. Anorectal cytology as a screening tool for anal squamous lesions. Friedlander et al, Cancer, 2/2004