Erhöht Abacavir das Herzinfarkt-Risiko ?

Eine neue Datenanalyse aus der D:A:D-Kooperation weist darauf hin

D:A:D ist ein internationaler Zusammenschlus von 11 HIV-Kohortenstudien (> 33’300 HIV-positive Personen). Diese Studiengruppe untersucht Langzeitnebenwirkungen von HIV-Medikamenten, insbesondere deren Auswirkung auf kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt oder Hirnschlag.

Die Aufmerksamtkeit war somit bisher vor allem auf die Proteasehemmer gerichtet, da dies häufig eine Blutfetterhöhung verursachen. Kürzlich wurde eine neue Datenanlyse im Lancet veröffentlicht, die die das Infarkt-Risiko von älteren und neueren Nucleosid-Analogas (AZT, Stavudin, Didanosin, Lamivudin, Abacavir) untersuchte. Bei 157’912 Personenjahren Follow up entwickelten 517 Personen eine Myokardinfarkt.

Und das war unerwartet: Die kürzliche (aber nicht die kumulative) Einnahme von Abacavir und Didanosin war mit einem erhöhten Herzinfekrtrisiko assoziiert (RR 1.90, CI 1.47-2.45 für Abacavir und 1.49, CI 1.14-1.95 für ddI). Das höchste Risiko für einen Infarkt hatten Patienten, die einaufgrund anderer Risikofaktoren schon ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko (d.h. >20% innert 10 Jahren) hatten und zusätzlich Abacavir erhielten. Personen, die die Einnahme von Abacavir oder ddI vor mindestens 6 Monaten wieder abgesetzt hatten, zeigten kein erhöhtes Herzinfarktrisiko im Vergleich mit Patienten, die noch nie diese Medikamente eingenommen hatten. DiesE Beobachtung spricht dafür, dass es sich nicht nur um eine Assoziation, sondern wirklich um einen kausalen Zusammenhang handelt.

Der biologische Mechanismus ist unbekannt, möglicherweise besteht ein direkter Einfluss dieser Medikamente auf die Blutgerinnung oder auf entzündliche Prozesse in den Gefässen.

Während Didanosin bei uns kaum mehr eingesetzt wird (mitochondriale Toxizität), gilt Abacavir als sehr gut wirksam und verträglich und wird deshalb bei uns sehr häufig als Teil eines antiretroviralen Therapieregimes verwendet.

GSK hat in einer internenen Analyse ihrer Datenbank (9’369 Patienten mit Abacavir, 5’044 Patienten ohne Abacavir) keine solche Assoziation von Abacavir-einnahme und Herzinfarkt gefunden. Allerdings waren diese Studien nicht designed, um diese Frage zu beantworten und die Follow-up-Periode in den Studien betrug in der Regel nur 24-48 Wochen.

Auch wenn es sich bei der D:A:D-Studie "nur" um eine Beobachtungsstudie handelt, so sind diese Daten doch ernst zu nehmen. Somit stehen wir vor einem neuen Dilemma, denn es ist es schwierig ein gutes alternatives Medikament aus der Gruppe der Nucleosid(t)id-Analoga zu finden. Einzig das Lamivudin scheint aufgrund seiner guten Verträglichkeit mit grosser Langzeiterfahrung und guter ZNS-Penetration gesetzt zu sein. Bezüglich Tenofovir und Infarkt-Risiko haben wir aus der D:A:D-Analyse leider keine Daten (zu kurzes Follow up). Hingegen besteht bei Tenofovir eine Unsichterheit bezüglich allfälliger negativer Langzeitauswirkung auf den Knochenstoffwechsel.

Bei Patienten mit hohem Risiko für eine koronare Herzerkrankung würden wir aufgrund dieser Studie wohl im Moment eher Tenofovir/Emtricitabin als Nucleos(t)id-backbone empfehlen. Stavudin und Didanosin werden aufgrund der erhöhten mitochondrialen Toxizizät (wenn irgendwie möglich) schon länger nicht mehr eingesetzt. Auch AZT (Zidovudin) ist aus derselben Ueberlegung nicht mehr erste Wahl.

Sicher sollte man aus der aktuelle Beobachtung keine Fehlschlüsse ziehen und eine indizierte antiretrovirale Therapie aus Angst vor Medikamentennebenwirkungen absetzen. So hat ja die SMART-Studie gezeigt, dass Patienten, welche ihre HIV-Therapie mit Unterbrüchen einnahmen, häufiger an Herzinfarkt starben, als die Patienten mit einer Dauertherapie. Man vermutet, dass ständige Virusreplikation zu einer Aktivierung des Immunsystems führt, die wiederum zu einer Beschleunigung der immunologischen Phänomene der Atherosklerose führen könnte.

Use of NRTIs and risk of myocardial infarction in HIV-infected patients enrolled in the D:A:D study; The Lancet, 26. Apr. 2008