Prävention der vertikalen Transmission bei HIV-Infektion der Kindsmutter

Die Prävention der vertikalen Transmission von HIV fusst seit den späten 90-iger Jahren auf drei Pfeilern: Therapie von Mutter und Kind, Sectio und Milchersatz statt Muttermilch. Welche Massnahmen sind heute diesbezüglich antepartum, intrapartum oder postpartum angezeigt?

Ende 2004 hat die Fachkommission Klinik und Therapie (FKT) des BAG neue Empfehlungen publiziert (BAG-Bulletin 53/2004, lesen Sie auch unseren Beitrag von Anfang Jahr). Sie ersetzen die Empfehlungen aus dem Jahre 1998. Vieles hat sich seit dieser Zeit verändert. Weltweit hat die HIV-Epidemie erschreckende Ausmasse angenommen. Täglich infizieren sich 2000 Kinder über vertikale Transmission neu mit dem Virus. Ebensoviele Kinder sterben jeden Tag daran. In der Schweiz hingegen sieht die Situation derzeit gut aus. 2004 gab es zum ersten Mal keine vertikale Transmission von HIV. Die besseren therapeutischen Möglichkeiten und die Präventionsmassnahmen scheinen zu wirken. Doch können wir uns zurücklehnen?

Leider wird seit 2-3 Jahren erneut eine Zunahme der HIV-Neuinfektionen bei Erwachsenen auch in der Schweiz beobachtet. Zusätzlich führt Einwanderung aus Ländern, in denen die Prävalenz der HIV-Infektion in der Bevölkerung teilweise über 50% liegt zu einem zusätzlichen Risiko, so dass Befürchtungen gerechtfertigt sind, dass auch in der Schweiz die Situation nicht so bleiben könnte. Grund genug, die neuen Empfehlungen genau unter die Lupe zu nehmen.

Antepartum steht die Therapie der Kindsmutter mit potenter antiretroviraler Therapie im Vordergrund. Hier hat sich die Therapie mit zwei Nukleosidanaloga und einem Proteaseinhibitor seit Jahren bewährt. Ziel ist die komplette Suppression der Viruslast, d.h. ein RNA-Wert <50 Kopien/ml Blut zu Beginn der 36. SSW. Um dies zu erreichen wird eine antiretrovirale Therapie während der Schwangerschaft entweder fortgesetzt, oder aber ab frühestens der 14. SSW begonnen. Als Komplikation antiretroviraler Therapie während der Schwangerschaft bekannt ist das erhöhte Risiko einer Frühgeburtlichkeit. Daneben ist die mögliche mitochondriale Toxizität der Medikamente auf das ungeborene Kind gefürchtet.

Intrapartum ist die Gefahr der Infektion besonders gross. Daher wird weiterhin die intravenöse Retrovir(AZT)-Gabe empfohlen, falls keine vollständig supprimierte Viruslast dokumentiert wurde. Einzelne Studien zeigen den positiven Einfluss der einmaligen Gabe von Viramune. Doch widerspricht die dabei häufig beobachtete Resistenzentwicklung einer generellen Empfehlung. Viel diskutiert wurde in der letzten Zeit das Thema der geplanten Sectio. Die neuen Empfehlungen sehen in ausgewählten Fällen die vaginale Geburt als vertretbare Option. Erfüllt sein müssen dabei alle folgenden Kriterien:

  • bei der Schwangeren wurde wiederholt eine Viruslast < 50 Kopien/ml Blut; (inklusive einer Messung in der 36. SSW!) dokumentiert
  • es besteht der ausdrückliche Wunsch der Mutter
  • es ist keine protrahierte Geburt abzusehen
  • es sprechen keine geburtshilflichen Gründe dagegen

Postpartum steht das Kind im Mittelpunkt der Massnahmen. Es erhält in jedem Fall eine Therapie während 4 Wochen mit Retrovir, teilweise auch in Kombinationen mit 3TC und/oder die einmalige Gabe von Viramune. Retrovir ist hier der entscheidende Faktor. Sowohl das 3TC als auch das Viramune sind mit der Gefahr der Resistenzentwicklung behaftet. Betreffend Stillen raten auch die neuen Empfehlungen klar davon ab. Die Weiterbetreuung der infizierten und nicht infizierten Kinder (definitiver Ausschluss erst im Alter von 2 Jahren möglich) erfolgt im Rahmen der MOCHIV (Swiss Mother & Child HIV Cohort Study) über mehrere Jahre.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die neuen Empfehlungen insbesondere die Therapie der Kindmutter aktualisieren (Dreierkombination) vor allerdings dem bisher ungeklärten Hintergrund einer möglichen mitochondrialen Toxizität beim ungeborenen Kind. Ausserdem ist in ausgewählten Situationen eine vaginale Geburt diskutierbar. Das Stillen hingegen sollte hingegen weiterhin unterbleiben.

Alle Massnahmen sollten im Einzelfall immer das Resultat sein aus dem Dialog zwischen Gynäkologen, Pädiatern und Infektiologen.

Schlussendlich gilt in der Betreuung der Schwangerschaft als wichtigster Grundsatz: der HIV-Test muss im Sinne einer Good Clinical Practice (GCP) weiterhin zum Standardscreening der Schwangeren gehören. Denn in der Schweiz werden auch in Zukunft nur unwissentlich HIV-positive Frauen das Virus auf ihr Kind übertragen.

Weitere Informationen:

Graphische Zusammenfassung der Richtlinien

Vortrag zu diesem Thema