Vogelgrippe/Pandemie: Wir sind nicht ohne Schutz

Über die Vogelgrippe haben wir hier schon viel berichtet. Dass sie kommt ist auch klar. Zwei parallel erschienene Arbeiten im Nature und Science suggerieren, dass wir der Pandemie nicht schutzlos ausgeliefert sind.

Die sich häufenden Meldungen zur Vogelgrippe lassen vermuten, dass sie nun nächstens ausbrechen muss. Doch die alles entscheidende Rekombination zwischen Genen des Grippevirus beim Menschen und derjenigen der Vögel ist noch nicht erfolgt. Meist geschieht dies während der Infektion von Schweinen. Doch auch bei Schweinen wurden bereits H5N1 Viren gefunden. Grundsätzlich wäre es also möglich, dass die H5N1 "Vogelgrippe" sich auch unter Menschen rasch ausbreiten könnte. Mehr über die Gefahr der Pandemie lesen Sie in unserem Kongressbericht vom Challenge in Virology Meeting ab S. 15).

Im Gegensatz zur Spanischen Grippe im Winter 1918/19, welche 20-40 Millionen Menschen das Leben kostete, sind wir heute sehr viel besser vorbereitet auf die mit Sicherheit auf uns zukommende Influenza-Pandemie. Die Meldung des NIH von vergangener Woche, wonach das Team von Fauci einen wirksamen Impfstoff gegen H5N1-Influenza erprobt hat, ist wohl noch etwas zu früh. Die Impfung muss 2 mal in einem zeitlichen Abstand gespritzt werden. Das kostet Zeit und Ressourcen. Und noch ist nicht genügend Impfstoff produziert.

Doch selbst ohne wirksame Impfung können wir uns gegen die Vogelgrippe schützen. Was es braucht, ist ein gezielter und rasch-entschlossener Einsatz der Mittel. Die beiden Artikel in Nature und Science kommen eigentlich beide zum gleichen Schluss. Es handelt sich um mathematische Modelle, welche die Effekte verschiedener Interventionen auf den Verlauf der Grippe prüfen.

Ob sich die Ausbreitung der Grippe verhindern lässt, hängt primär von der basalen Reproduktionrate (Ro) ab. Das ist die Zahl der Personen, welche von einer infizierten Person angesteckt werden. Diese muss mehr als eins sein, damit eine Epidemie überhaupt entstehen kann.

Die beiden Arbeiten gehen davon aus, dass sich die Vogelgrippe alleine mit der gezielten Abgabe von Neuraminidasehemmern (Tamiflu) recht gut unter Kontrolle bringen liesse, wenn die basale Reproduktionsrate unter 1.8 bleibt. In der nebenstehende Abbildung aus dem Science-Artikel erkennt mann die zu erwartende Anzahl Erkrankter (pro 1000) bei verschiedenen Interventionen (TAP=Tamiflu-Prävention). Das Medikament kann primär im Sinne einer Ringprophylaxe (s. unseren Bericht), oder an alle Personen in der grösseren Umgebung abgegeben werden. Bei höherem Ro braucht es zusätzlich einen wirksamen Impfschutz, um die Ausbreitung wirksam zu verhindern.

Das Modell zeigt, dass man – um gewappnet zu sein – rasch handeln muss und den Ausbruch möglichst schon im Keime ersticken sollte. Da die Vogelgrippe praktisch sicher in Südostasien ausbrechen wird, müssen diese Massnahmen primär dort eingesetzt werden. Das Modell sagt voraus, dass sich der Grippe Ausbruch in 3 Wochen eindämmen lässt. Erfahrungsgemäss dauert es nur 8 Wochen, bis eine Pandemie die ganze Welt erreicht hat. Auch hier werden wir also global denken müssen. Die Weltgesundheitsorganisation beobachtet den Verlauf der Vogelgrippe in Asien deshalb sehr genau. Basale Reproduktionsrate Ro während Spanischer Grippe

Eine Unbekannte Grösse ist natürlich die Frage der basalen Reproduktionsrate für die Influenza. Von dieser Grösse (Ro) hängte es ab, ob die medikamentöse Therapie alleine reichen wird. Da wir in den ersten 4 Wochen einer Pandemie praktisch sicher keine Impfung haben, ist dies die entscheidende Frage. In den zusätzlich eingereichten Unterlagen der Studie von Fergusson et al, findet sich eine Untersuchung zu Ro während der Spanischen Grippe, der bisher grössten Pandemie. Ausgehend von den tatsächlich beobachteten Fällen in England haben die Autoren die basale Reproduktionsrate für die H1N1-Influenza in den ersten Wochen der Pandemie im Herbst 1918 berechnet (Abbildung links). Daraus erkennt man, dass die basale Reproduktionsrate weit unter der Rate von 1.7 gelegen hat. Man darf wohl davon ausgehen, dass ein Ro von 1.7 hoch ist. Das dürfte heissen, dass wir – vorausgesetzt wir handeln rasch, besonnen und mit guter Überzeugungskraft – eine Influenza Pandemie rasch unter Kontrolle bringen könnten.

Quellen:
Fergusson et al, Nature, 3.8.2005 online

Longhini et al, Science 12. Aug. 2005